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Schweig still, mein Kind / Kriminalroman

Schweig still, mein Kind / Kriminalroman

Titel: Schweig still, mein Kind / Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Busch
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sagen. Wir waren zwei Menschen, die in zwei verschiedenen Welten lebten und nichts mehr gemeinsam hatten außer einem Geburtsort und ein paar Kinderstreichen.«
    »Und außer einer Jugendclique.«
    »Ja, und außer einer Jugendclique.«
    »Na schön. Das wär’s fürs Erste. Vielleicht werde ich noch einmal mit Ihnen reden müssen.«
    Sina nickte.
    »Falls Ihnen noch etwas einfällt …«, er reichte ihr eine hellbeige Visitenkarte. »Handynummer steht drauf. Oder sagen Sie in der
Heugabel
Bescheid. Dort wohne ich momentan. Einen schönen Tag noch.«
    »Danke.«
    Über der Ladentür klimperten die Glöckchen. Das Rotieren ließ nach.
    Sina starrte reglos auf die Straße.
Die Jugendclique.
    Erinnerungen holten sie ein. Gedanken an die glückliche Zeit, die Jahre, die die Dorfkinder von klein auf bis in die späte Jugend erlebt hatten, im unbeschwerten Spiel und Abenteuer. Und an die Ereignisse der Vergangenheit. Damals, als sich das Tor zur Hölle vor ihr aufgetan hatte. Das Tor, das sich nie wieder ganz geschlossen hatte, immer nur angelehnt geblieben war. Und dessen Angeln sich jetzt erneut bewegten, den Schlund preisgaben, der Sina hinabzuziehen drohte.
    Die Schande.
    Der Schmerz.
    Die Suche.
    Sie sehnte sich nach dem Himmel zurück. Nach den Sommern, in denen sie mit den Hunden durch die Felder gejagt waren, am Bach Staudämme aus Kieselsteinen errichtet und im Heu Hochzeit gespielt hatten. Sie wünschte die sorglosen Winter herbei, in denen sie Schneehöhlen gegraben und in jedem Jahr ein großes Iglu gebaut hatten, ihr Reich während der kalten Monate. Beim Graben und Schaufeln waren die Kinderhände eiskalt und rot geworden, doch die Wangen hatten vor Eifer geglüht. Nur Bruno stand teilnahmslos daneben, wedelte in regelmäßigen Abständen mit den Händen, stimmte nicht in das Lachen ein. In der weißen Burg gab es eine umlaufende Schneebank. Sie gefror und war am Ende des Winters spiegelglatt von den Kinderpopos. In die Wände schlugen sie Gucklöcher, und abends, wenn der Mond die frühen Winterabende in ein fahles Silber tauchte, drängten sich ihre Gesichter kichernd an die Bullaugen, beobachteten die erleuchteten Fenster der Häuser und die Menschen, die sich gebückt durch die schneeverwehten Straßen kämpften.
    Im Iglu war es warm, und ihre Augen glänzten im Schein der Kerzen, die sie aus dem elterlichen Schrank gemopst hatten. Wenn sie hungrig waren, öffneten sie die große Blechdose, die bis zum Rand mit duftenden Keksen gefüllt war und deren Verschwinden im Hof der Sommers jedes Jahr für Unfrieden sorgte.
    Frieda buk die Kekse nur für Bruno. Sie waren exakt so groß wie ein Fünfmarkstück und so dick wie ein Finger. Butterweich und von einem warmen Braun wie das Fell von Schoko, dem alten Labrador der Familie Sommer, der Bruno oft mit der Schnauze anstupste, ihm hinterhertrottete, aber stets ohne Beachtung blieb. Jede abweichende Form, Größe oder Farbe der Kekse quittierte Bruno mit einem Tobsuchtsanfall. Falsche Exemplare schleuderte er schreiend auf den Küchenboden und zermalmte sie mit den Füßen, bis selbst der letzte Krümel zu Staub zertreten und in den Ritzen der honigfarbenen Eichenbohlen verschwunden war.
    Die Kinder liebten Brunos Kekse. Umso mehr, da sie verboten waren und ihr Diebstahl ein Zeichen ihrer kindlichen Kühnheit bedeutete. Immer war es Johannes, den sie schickten, die Büchse zu holen. Er widersetzte sich nie, wenn Elisabeth es ihm auftrug. Sina hatte sich oft gefragt, warum Brunos Mutter nicht einfach eine weitere Dose mit Gebäck machte. Dann hätten alle Kinder ihre Süßigkeiten und sie ihre Ruhe gehabt. Stattdessen zog Frieda Sommer den Spott der Kinder auf sich, weil sie sich lieber aufführte wie eine böse Hexe, wenn die Büchse wieder verschwunden war. Meist schlug sie Hermann ins Gesicht, sperrte Elisabeth in ihr Zimmer, verfluchte die anderen Dorfkinder – und bedauerte Bruno umso mehr, weil er ja so hilflos war und die Leute sich so kaltherzig ihm gegenüber verhielten.
    Dabei saß Bruno oft mit den Kindern im Iglu. Stumm, in der Ecke, mit etwas Abstand. Die anderen machten sich nichts aus seiner Distanz. Er war ein Teil der Clique. Aß Kekse mit ihnen und spähte aus den Bullaugen wie sie. Doch nicht zu den Häusern, sondern in Richtung des Waldes. Dorthin, wo die schwarzen Bäume mit ihren eisglänzenden Stämmen standen, wo die Kinder den Rabenmann wähnten und wohin Bruno manchmal in die dunkle Nacht hinaus verschwand. Sina hatte ihm oft

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