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Schweig still, mein Kind / Kriminalroman

Schweig still, mein Kind / Kriminalroman

Titel: Schweig still, mein Kind / Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Busch
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drückt. Laut Larsson jedenfalls. Warum?«
    Der Hauptkommissar blickte zum Sommerhof. Dahinter stand das Gewächshaus. Eine Bö fegte über den Weg und wirbelte kleines Geäst mit sich. »Ach, nur so.«
    »Mach ja keine Dummheiten.«
    »Elisabeths Körper wurde also erst auf das Mooskissen gelegt und dann verstümmelt.«
    »Genau.«
    »Der Täter hat mindestens neunzig Minuten bei der Leiche gewartet. Oder ist später noch einmal zurückgekommen.«
    »Oder Mörder und Leichenschänder sind gar nicht identisch.«
    »Zwei Täter?«
    »Möglich.«
    »Elisabeth war angeblich bis zwanzig Uhr mit ihrem früheren Freund zusammen.« Blieb also nur eine Stunde für die Tat. Wieder sog Ehrlinspiel den vertrauten Duft von nasser Erde, Gras und Obst ein, hörte die klirrenden Ketten der Kühe im Stall und ihr Muhen. Hier hatten Hermann und Elisabeth gespielt. Ob sie, der Kommissar und der Landwirt, ähnliche Erinnerungen teilten?
    Als Kinder waren Ehrlinspiel und seine Geschwister oft in die Ställe der Nachbarn geschlichen. Moritz hatte die kleinen Kätzchen streicheln wollen, die die Mutterkatze in der feuchten Wärme gesäugt und aufgezogen hatte. Während seine Finger gebannt die fiepsenden Näschen und zerknautschten Ohren berührten und er sich vor Aufregung auf die kleine Zunge biss, rannten seine wilde Zwillingsschwester Finnja und sein Bruder Florian um das Vieh herum. Kichernd zogen sie an den Eutern und kitzelten die Kühe mit Strohhalmen in den glänzenden Nasenlöchern, so lange, bis sie niesten. Leah, die Jüngste, stand immer Schmiere. Und spätestens, als das Niesen in lautes Brüllen und Stampfen überging und der dicke Horben-Bauer jede Sekunde um die Ecke zu keuchen drohte, krochen sie durch die verrottete Seitentür hinaus. Hinter dem Misthaufen hatten sie sich vor Lachen ausgeschüttet.
    Einen Moment lang fühlte Ehrlinspiel sich in das Kind zurückversetzt, in seine ersten zehn Lebensjahre auf dem Land bei Freiburg. Wehmut überkam ihn und – für einen flüchtigen Augenblick – der Drang, irgendetwas anzustellen.
    »Die Berliner Kollegen sind auch mit Elisabeths Wohnung durch. Keine Verbindung zu ihrem früheren Leben im Dorf. Keine Briefe, keine E-Mails von Bedeutung, nichts.« Freitags Stimme schien plötzlich meilenweit entfernt. Ehrlinspiel nahm das Mobiltelefon in die andere Hand.
    »Und der Ehemann?«
    »Eindeutig sauber. Ich sehe auch kein Motiv bei ihm.«
    »Was weißt du über Autismus?«
    »Wenig. Wieso? Die Betroffenen reagieren auf ganz normale Sachen völlig hysterisch oder gar nicht und können keine Berührungen ertragen. Ich glaube, die Wahrnehmung funktioniert nicht richtig. Frag mal Larsson, der hat mal von ›empathielosen Ritualgehirnen‹ gesprochen, als er ein autistisches Kind obduziert hat. Das Mädchen, das bei Rot immer schreiend über den Zebrastreifen vor seinem Elternhaus gerannt ist und dann von einem Auto überfahren wurde. Weißt du noch? Die Wohnung voller Umzugskisten. Zwei Tage, bevor die Familie in das neu gemietete Haus auf dem Land ziehen wollte, weit weg von jeder Ampel.«
    Ehrlinspiel erinnerte sich nur zu gut. Vor allem an die Mutter, die das lockenumrandete, zusammengeflickte und geschminkte Gesichtchen im Beisein des Rechtsmediziners zum letzten Mal hatte sehen dürfen. »Seine Durchlaucht Larsson starb wie gewünscht im Leichenschauhaus.«
    »Moritz!«
    »Schon gut. Aber manchmal …«
    »Ich ja auch. Aber er macht einen hervorragenden Job. Und das solltest du jetzt auch tun.«
    »Danke für den Hinweis.«
    »Stets zu Diensten, Meister.«
    Ehrlinspiel klappte das Handy zu. Vom Dach des Sommerhofs prasselte ein Wasserstrahl. Ihm war die kleine Mulde aufgefallen, die sich das Wasser neben der Tür gegraben hatte und aus der schlammige Tropfen gegen die Hausfassade spritzten. Der Hauptkommissar hätte seine letzte Flasche 2004er Château La Fleur-Pétrus darauf verwettet, dass die Spritzflecken morgen verschwunden sein würden.
    Es sind die frühen Jahre, dachte er, welche die Menschen prägen und ihr späteres Verhalten vorherbestimmen. Hier Kind gewesen zu sein, war bestimmt nicht nur mit süßen Erinnerungen verbunden. Frieda war alles andere als die Mutter, die man sich wünschte.
    Wenn er mit Angehörigen eines Mordopfers sprach, wollte er in erster Linie die frischen Erinnerungen festhalten, Beobachtungen erörtern; dabei konnte er nur bedingt Rücksicht auf Leid und Trauer nehmen. Doch bei Frieda … Bei dieser Frau sah er keinen Kummer, auf den er

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