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Schweig still, mein Kind / Kriminalroman

Schweig still, mein Kind / Kriminalroman

Titel: Schweig still, mein Kind / Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Busch
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sich um. Auf ein altes Fahrrad gestützt, taxierte ihn eine kleine rundliche Frau mit einem Auge. Das andere saß unbeweglich in seiner Höhle. Ein Blick, der die Weisheit des Alters mit Verrücktheit auf geübte Weise verbindet, dachte er. Die Gelenke der Frau waren dick und knotig und die Haut war übersät mit braunen Flecken.
    Für einen kurzen Moment sah Ehrlinspiel sich auf dem Schoß seiner Mutter sitzen. Sah das Märchenbuch in ihrer Hand. Hörte ihre kratzig verstellte Stimme, wenn sie die verzauberte Königin las und roch den Schwefel, als die Hexe mit einem lauten Knall wieder ihre wahre Gestalt und Schönheit zurückerlangte.
    Die Dame vor ihm hatte ihre königliche Zeit eindeutig hinter sich.
    »Die Mutter von Sina Vogel?« Er sprach betont laut und deutlich.
    Die Alte schlurfte in winzigen Schritten auf ihn zu. Jede Bewegung bereitete ihr offenbar Schmerzen. »Ich bin zwar alt«, krächzte sie und zeigte ihre wenigen Zähne, »aber nicht taub.«
    »Entschuldigen Sie, da war ich wohl etwas voreilig.«
    Sie lachte knarzend. »Der Herr Stadtpolizist.«
    Die Buschtrommeln, dachte Ehrlinspiel. »Und wer sind Sie?«
    »Bertha Weber. Und das da«, sie deutete auf eine Stelle hinter ihm, »ist mein Mann Egon.«
    Ehrlinspiel blickte in die angegebene Richtung. Nur Gräber. Doch eher Verrücktheit. Zumindest konnte er sich jetzt den Weg zu der Frau sparen, die Bruno für den Mordabend ein Alibi geben konnte – laut Frieda. Er verbeugte sich leicht. »Sehr erfreut, meine Dame.«
    Sie kicherte. »Dame! Ich bin ein Fossil.«
    »Hier liegt doch Sinas Mutter, oder?«
    »Sicher. Die Hedwig. Sie hat lange gekämpft.«
    »Krebs?«
    »Dämonen.«
    »Dämonen?«
    »Der Herr Stadtpolizist.« Das gesunde Auge musterte ihn von oben bis unten. Bertha umklammerte den Lenker fester und zuckelte weiter.
    Ehrlinspiel rieb sich über das Kinn. Dann folgte er ihr.
    »War Bruno Sommer am Mittwochabend bei Ihnen?« Vermutlich eine überflüssige Frage, so senil, wie die Alte schien.
    »Gewiss.«
    »Aha.« Er musste immer wieder kurz anhalten, bis Bertha Weber das Fahrrad durch die Gräberreihen weitergeschoben hatte. »Von wann bis wann genau?«
    »Sechs bis Mitternacht.« Sie blieb stehen. »Nicht wahr, Egon?«, rief sie.
    »Hm. Sind Sie … da ganz sicher?«
    Sie schüttelte leicht den Kopf, als habe sie einen Tremor. Dann gluckste sie und blickte ihn an. »Wir haben zusammen gekocht.«
    »Zu zweit? Oder hatten Sie noch … hm, Gäste?«
    Bertha Weber kicherte. »Gäste! Hast du das gehört, Egon? Der junge Mann ist gar nicht mal so dumm.«
    Ehrlinspiel folgte ihrem Blick. Dann sah er ihn. Den Grabstein.
Hier ruht in Gott Egon Weber. *
10. 
April
1922,

2. 
Mai
1973
. Egon war an dem Tag gestorben, an dem Moritz Ehrlinspiel zur Welt gekommen war. Leichte Gänsehaut breitete sich auf seinen Unterarmen aus.
    »Wir sind oft zu dritt. Nicht wahr, Egon?« Sie richtete das Auge auf den Kriminalhauptkommissar. »Wir haben Hähnchen mit Bratkartoffeln gemacht. Egon liebt Hähnchen mit Bratkartoffeln.«
    »Sehr fein, ja.« Die Schritte und Fahrradreifen knirschten auf dem Kiesweg.
    »Bruno ist ein exzellenter Koch.«
    »Kannten Sie Hedwig Vogel?«
    »Gewiss.« Ihre Stimme erinnerte Ehrlinspiel an eine Krähe. »Sie war ein feiner Mensch. Wie ihre Tochter Sina. Aber die Dämonen …« Bertha verstummte. »Die Kleine tut mir leid.«
    »Sina?«
    »Sie kann nichts für die Dämonen. Sie hat nicht viele Freunde. Es läuft nicht mehr so. Obwohl sie alles prima macht. Alles prima.«
    Ehrlinspiel wartete auf ein »Nicht wahr, Egon?«, doch es blieb aus. »Sie meinen ihren Laden?«
    »Ich bin ein Fossil. Ich kaufe mir keinen Wintermantel mehr.« Sie schob das Rad ein Stück näher zum Grab und hob die Stimme. »Bald geht’s rund da oben beim Herrn, nicht wahr, Egon? Und wehe, du drückst dich, du Tanzmuffel! Wir werden leben wie Grace Kelly und Cary Grant. Wie Grace Kelly und Cary Grant.«
    Mit einem Mal überkam Ehrlinspiel Mitleid. Bertha Weber mochte nicht mehr ganz bei Sinnen sein, doch in ihrer Verrücktheit steckten Träume. Hoffnungen, die ihr die Krankheit und den Lebensabend erträglich machten. Er zählte fünf Zähne in ihrem lachenden Mund.
    »Sinas Laden war einmal meiner. Sechzig Jahre lang habe ich den gehabt. Sechzig Jahre. Mit achtzehn habe ich angefangen. Wie die Sina. Sie war auch achtzehn, als ich ihr den Schlüssel übergeben habe. Ich dachte, der Laden rettet die Kleine. So, wie er Egon und mich gerettet hat. In guten

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