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Schweig still, mein Kind / Kriminalroman

Schweig still, mein Kind / Kriminalroman

Titel: Schweig still, mein Kind / Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Busch
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und in schlechten Zeiten. Wissen Sie, junger Mann, damals war Krieg.«
    Oh nein. Berthas klarer Moment würde doch nicht in einer Kriegsgeschichte enden?
    »1944. Wir waren schon verheiratet. Das waren Zeiten.« Sie sah Ehrlinspiel an. »Ich bin aus der Stadt.«
    »Tatsächlich?« Der Hauptkommissar war ehrlich überrascht.
    »Evakuiert, im Sommer 1940, mit vierzehn. Meine Eltern hatten Angst um mich. Aber ich hatte keine Angst. Weil der Egon hier war. Meine Brüder sind in Russland gefallen. Und dann kamen die Bomben auch hierher. Mitten auf das Dorf. Versehentlich abgeworfen, haben sie uns gesagt, nicht wahr, Egon?« Sie nickte dem Grab zu. »Egons Eltern starben in dieser Nacht. Der Hof brannte nieder, und die Tiere sind brüllend in den Ställen verreckt. Und wir … wir haben mit dem Laden angefangen. Wir mussten überleben. Er hat uns gerettet.«
    »Konnten Sie den Hof nicht wieder aufbauen?«
    »Mit diesen Erinnerungen? Ohne Vieh, ohne Geld? Wir haben in einem Bretterverschlag gehaust. Als der Laden lief, hat Egon uns ein kleines Häuschen errichtet, drüben am Wald, beim Schwarzengrund. Jeden Abend hat er gesägt und gehämmert und Steine geschleppt, bis die Hände geblutet haben und später zu dicken Schwielen geworden sind. Ich habe die Buchhaltung erledigt und geputzt. Tagsüber ist Egon mit dem Anhänger durch die Dörfer gefahren und hat Waren verkauft.« Sie kicherte plötzlich los. »Wie dieser Franzose.«
    »Welcher Franzose?«
    »Ein hübscher Kerl mit seinem knackigen Hintern.«
    Ehrlinspiel war amüsiert. Hatte Bertha Weber ihren Nicht-wahr-Egon mit einem fremden Soldaten betrogen?
    »Der Herr Stadtpolizist.« Die Alte zeigte ein verschmitztes Lachen. »Sie enttäuschen mich.«
    »Nun, vielleicht kann Egon mich ja aufklären?«
    »Papperlapapp! Egon ist tot! Der Franzose, dieser Lavie, mit dem sollte Sina sich zusammentun. Sie wären so ein schönes Paar.« Fünf Zähne. »Früher, da dachte ich, der Bruno und die Sina … Aber das geht natürlich nicht. Bruno ist zu kompliziert. Ja, das Leben. Ich bin ein Fossil. Ich kaufe mir keinen Wintermantel mehr. Ich –«
    »Bruno war mit Sina zusammen?«
    »Nicht so, wie Sie denken. Aber der Lavie, der wäre was für die Kleine. Die sollten sich verbandeln. So wie Sie und diese Nette aus Hamburg. Die weiß, was sie will.« Diese Nette aus Hamburg? Die Raubkatze? Niemals.
    Sie gluckste wie ein kleines Mädchen. »Lavie würde für Sina sorgen. Und ihren Vater, den Anton, würde er von der Flasche wegbringen. Dem sollte man keinen Tropfen mehr geben. Keinen Tropfen!«
    Er stimmte ihr zu.
    »Mein Egon, der hatte nur ein kurzes Leben. Aber es war ein gutes Leben. Man muss das Beste aus seinen Jahren machen. Die Leute sind so bequem. Sie bilden sich ein, der Alltag gehe seinen ewigen Trott. Keiner denkt daran, dass das nicht stimmt. Das Leben ist nicht nur kürzer, als viele annehmen. Es hört für einige auch früher auf.«
    Für die Angehörigen von Mordopfern, dachte Ehrlinspiel.
    »Die Zeit läuft, Herr Polizist, sie wartet nicht auf uns. Aber manche Menschen, die warten. Vergebens. Weil sie nicht begreifen, dass sie selber vorwärtsgehen müssen.« Mühsam machte sie zwei Schritte zur Seite und drehte den Lenker auf den Weg zurück. Mit einer Hand fasste sie kurz an ihre Seite, und ein Zucken ging durch ihren Körper. »Davon bin ich auch bald erlöst. Das Reißen, junger Mann, das Reißen. Ich spür’s in jedem Knochen.«
    Langsam setzte sie ihren Weg fort, Ehrlinspiel an ihrer Seite. »Es wird bald schneien. Ich spür’s in den Knochen.«
    »Wohnen Sie noch im Schwarzengrund?«
    »Sicher. Neben den Beyers. Ein Jammer mit den beiden. Erst am Mittwoch habe ich zu Bruno gesagt: ›Schau, wie unruhig der Johannes ist. Der macht dir noch Konkurrenz. Kommt. Geht. Kommt. Geht.‹ Den ganzen Abend. Der hält’s nicht aus bei der Margarete.«
    Johannes hatte den Hof am Abend des Mordes mehrmals verlassen? »Ist er nach acht Uhr noch einmal weggegangen?«
    »Sicher.«
    Sie schwiegen bis zum Friedhofstor.
    »Sie fahren doch nicht etwa mit diesem Ding nach Hause?« Ehrlinspiel blickte auf die platten Fahrradreifen.
    »Es ist doch Egons Rad!« Vorwurfsvoll schnellte das Auge zu ihm. »Nicht wahr, Egon? Meine Stütze. Diese modernen Wägelchen aus den Altersheimen, die machen einen so alt.« Wieder verfiel sie in ihr Kichern. »Es wird bald schneien. Ich spür’s. Die Leute werden nervös. Und Sie«, Bertha Weber richtete einen krummen Zeigefinger auf den

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