Schweig still, mein Kind / Kriminalroman
unbändigen Kraft. Gleich, gleich wird der Knall ihn zerreißen.
Blümelein!
Er muss die Kreise retten.
Erlösung!
Das Leben retten.
Segen!
Er packt das Band mit beiden Fäusten. Reißt mit aller Kraft daran, doch es rutscht durch seine Handschuhe.
Segen!
Dann hört er sich schreien, und die Hunde kommen angerannt. Er läuft zu den Schuppen, zu einer Seitentür des kleinsten, greift nach der Klinke, aber er kann sie nicht öffnen, hat nicht an das Vorhängeschloss gedacht. Er rüttelt daran, verzweifelt. Die Tür bewegt sich nicht.
Etwas krallt sich in seinem Rücken fest. Er wirft sich nach vorn, prallt mit dem Gesicht hart gegen die Tür. Fällt. Schlägt um sich. Diese Wut. Diese Urkraft. Er kann sie nicht zähmen. Drinnen liegt die Axt, mit der er im Winter das Eis vom Weiher schlägt. Eiswasser kühlt. Er muss an die Axt kommen! Die Augen verschlossen, fliegen seine Hände gegen die Scheunenwand, seine Beine schleudert er auf den Boden, er tritt in die Luft, brüllt, bis seine Muskeln erschlaffen, seine Lungen brennen, er schwer atmend auf die Seite rollt und zitternd verharrt.
Als er blinzelt, kleben seine Wimpern zusammen, und er erkennt vier schwarze Stiefel vor seinem Gesicht. Sie strotzen vor Schlamm. Sein Blick gleitet an den Beinen hinauf. Licht flammt auf, dringt direkt in sein Gehirn. Er drückt die Augen so fest zu, wie er kann. Es sind Hellmacher. Er hat auch so einen. Taschenlampe sagt die Mutter dazu. Er wimmert. Dunkles Knurren neben ihm. Er kauert sich zusammen, möchte wie die Pfahlwurzel einer Nachtkerze tief in der Erde versinken.
»Aufstehen!«
Die Stimme dringt wie durch dunkles Moos zu ihm. Er zieht die Knie bis zur Brust.
»Los, Freundchen, mitkommen.«
Er legt die Arme um den Kopf. Doch sie packen ihn an den Schultern und reißen ihn hoch. Er sieht zu Boden. Hunde vor ihm. Sie starren ihn an. Die Lefzen sitzen wie gekrümmte Raupen an den Mäulern, die Zähne ragen wie spitze Eisberge darunter hervor.
Die Männer zerren ihn mit sich. Einer links, einer rechts. Er bebt. Niemand darf ihn anfassen! Niemand! Er versucht, sich loszureißen, wirft sich nach hinten, nach vorn, doch die fremden Finger schnüren seine Oberarme ein wie Lianen Baumstämme.
Sie ziehen ihn rechts am Paradies vorbei.
Er macht sich schwer wie ein nasser Torfsack, will fallen, tief, immer tiefer, in die warme, weiche Erde, eingebettet in die Stille. Alleine. Leise. Er hasst die Hände an seinen Armen, doch sie halten ihn unerbittlich auf den Beinen. Er hasst die Menschen, die Flut der Wörter, sie stürzen über ihm zusammen wie gefällte Bäume, begraben ihn unter sich. Er schreit. Niemand rettet ihn.
Riesige Hellmacher auf hohen Füßen stehen überall. Er sieht die Mutter. Drosera. Schleim sprudelt aus den Drüsen, übergießt den Ganzkomisch, der ihre Tentakel abwehrt und dann mit anderen Komischs spricht. So viele Wörter. Sie sind wie das Rauschen eines Waldes im Orkan. Das ist immer so bei ihm. Es rauscht durch ihn hindurch. Aber er ist ein Teufel.
Bruno-Teufel.
Klug. Deswegen hat er gelernt, einzelne Wörter zu fangen, sie dem Sturm zu entreißen. Damit er versteht, über was die anderen reden. Gefangene Wörter legt er in den riesigen Speicher in seinem Kopf. Er weiß auch immer gleich, welche Blume oder Formel er danebenlegen muss. Er macht es genauso mit Menschen und mit den Gefühlen anderer. Es passt immer, und so kann er sich alles merken. Das wissen die anderen nicht. Er ist so klug. Bruno-Teufel weiß auch, dass der Komisch, der gegen die Tentakel kämpft, Polizist ist. Zehn Jahre hat er »Polizist« schon in seinem Speicher, daneben liegt Grafit, das sind sp 2 -kovalent hexagonal gebundene Kohlenstoffatome, metallisch und schuppig. Polizist ist genauso schwarzgrau, man darf das Wort nicht laut aussprechen, es ist böse, bedeutet, dass andere traurig sind, weil jemand tot ist. Er ist auch schon traurig gewesen. Das war früher.
Er legt den Kopf schief, lauscht in das Chaos hinein, während die Männer ihn weiterziehen. Obduktion. DNA . Larsson. Er deponiert das letzte Wort im Speicher. Die beiden anderen sind schon drin. Obduktion liegt neben Liss. DNA kennt er aus seinen Büchern, neben ihr liegt eine Doppelhelix mit bunten Nukleotiden. Zu Larsson legt er eine Alraune. Eine Mandragora. Larsson ist schlau, sagt der Polizist. Und dass er immer auf einem hohen Ross sitzt. Dummer Polizist. Niemand kann immer auf einem Pferd sitzen. Wie soll man da schlafen? Dafür findet Larsson nachts Dinge
Weitere Kostenlose Bücher