Schweig still, mein Kind / Kriminalroman
keinen Platz mehr gefunden hatte, stapelte sich in ausgebeulten Pappkartons. Sogar auf dem Boden tummelten sich Bücher, die aussahen, als hätten die Borde ein Zuviel an Inhalt einfach ins Zimmer gespuckt. Nur die Terrassentür war frei und bot einen Blick auf das Gewächshaus.
»Meine Fresse.« Ehrlinspiel trat ein und las einige der Titel.
DNA-Analytik
. Larsson hatte also recht. Bruno wusste, wovon er brabbelte.
Morphologie mitteleuropäischer Wildpflanzen.
Sprengen mit Holz: Chemie unserer Ahnen.
Er blätterte in einem weiteren, großformatigen Band. Formeln, Schaubilder, Darstellungen chemischer Reaktionen. »Hast du dir das mal angesehen?«
»Mhm.« Lukas ließ seinen Daumen über den Seitenschnitt eines Buches gleiten, um zu prüfen, ob Zettel oder Notizen darin lagen. Außer Staub rieselte nichts heraus.
»Wenn der das alles gelesen und eins zu eins gespeichert hat, wie Larsson vermutet, ist der Knabe eine wandelnde Datenbank.«
»Leider ohne verwertbare Ausgabefunktion«, bemerkte Felber, machte einige Fotos und schrieb etwas ins Durchsuchungsprotokoll.
Trotzdem hatte Larsson einen Zugang zu ihm gefunden – und umgekehrt auch der Autist zu dem Rechtsmediziner. Zwei Sonderlinge. Verrückte?
»Herr Ehrlinspiel«, klopfte ein kleiner Mann in weißem Overall an den Türrahmen. »Das sollten Sie sich ansehen.«
Es war Marco Wenner, ein Neuer im Team, zurückhaltend, aber mit besten Referenzen.
Ehrlinspiel folgte ihm in einen Kellerraum. Wäscheleinen, auf denen weiße Unterhemden, dunkle Cordhosen und einige Oberhemden baumelten, behinderten die Sicht.
»Es ist dahinten«, sagte Wenner und reichte Ehrlinspiel weiße Überziehschuhe und Latexhandschuhe.
Der Hauptkommissar schob sich durch die Wäsche. Auf dem Steinboden waren einige Stellen mit Kreide eingekreist. Am Ende des Raums sah er eine Waschmaschine und eine offene Tiefkühltruhe. Daneben stand auf einem Stativ die hochempfindliche Kamera der Techniker, mit 35-Millimeter-Objektiv und verbunden mit einem Laptop. Ehrlinspiel verzog den Mund. »Sagen Sie jetzt nicht, dass –«
»Frisch abgetaut. Blitzblank geputzt. Inhalt schön sortiert.«
»Und?« Frieda taute das Ding sicher jede Woche ab.
Wenner zoomte auf dem Rechner zwei Fotos des Kellerbodens heran, die aus exakt derselben Position aufgenommen waren. »Das erste ist nach dem Aufsprühen von Luminol gemacht, bei völliger Dunkelheit, Blende zwei, langzeitbelichtet.«
»Blut«, stellte der Hauptkommissar fest und betrachtete die blau leuchtenden Flecken und Wischmuster auf dem Foto.
Wenner nickte und zeigte auf das zweite Bild, auf dem der Boden mit den Kreidekreisen zu sehen war. »Das ist die zweite Aufnahme, mit Blitz. So wie der Boden fürs bloße Auge aussieht. Nichts Besonderes zu erkennen. Die markierten Stellen sind die, an denen es geleuchtet hat. Wir haben dort Proben genommen.«
Ehrlinspiel erinnerte sich an den Tag, zu Beginn seiner Karriere, als Lukas Felber ihm ein ganzes leuchtendes Meer präsentiert hatte in einer scheinbar blitzblanken Badewanne. »Da hat einer das Blutbad wörtlich genommen«, hatte er gesagt und ihm erklärt, wie man Luminol in Natronlauge löste, verdünntes Wasserstoffperoxid als Oxidationsmittel hinzugab und das Gemisch auf die zu untersuchenden Stellen sprühte. Selbst mikroskopisch kleine Blutspuren setzten dann eine chemische Reaktion in Gang: Der Eisenkomplex im Blutfarbstoff Hämoglobin wirkte als Katalysator, der das Luminol bei Dunkelheit bläulich fluoreszieren ließ.
Bruno hätte die Reaktion mit Sicherheit herunterleiern können. Ehrlinspiel spürte wieder den Kloß im Hals und schob ihn sofort auf die geschwollenen Mandeln.
»Da hat jemand etwas Blutiges in die Tiefkühltruhe gelegt, es wieder herausgeholt und sauber gemacht.« Wenner sah seinen Kollegen mit der Miene eines Jägers an. »Aber nicht sauber genug.«
»Danke«, sagte Ehrlinspiel und eilte nach oben.
Frieda redete fuchtelnd auf Lukas Felber ein. Der ignorierte sie.
Sauber gemacht. Na warte.
»Haben Sie kürzlich Ihre Tiefkühltruhe abgetaut, Frau Sommer?«
Sie fuhr herum, und wie sie dastand, mit ihrer rüschenübersäten Bluse, den Perlen und verkniffenen Augen, schien sie ihm plötzlich albern. Bieder und klein.
»Was ist daran falsch?«, rang sie sichtlich um Fassung.
»Nichts. Es sei denn, man beseitigt damit Blutspuren.«
Sie sah ihm scharf in die Augen. »Rindfleisch ist immer blutig.«
»Rindfleisch.« Er nickte ironisch. In wenigen Stunden würde
Weitere Kostenlose Bücher