Schweig still, mein totes Herz (German Edition)
In den Schnee. Weshalb? War sie verletzt?
Blut hatte er keines gesehen, nur die Schimpansen-Spuren. Da war ein menschlicher Handabdruck. Sie hatte sich hochgedrückt, war weitergestolpert. Er hob den Kopf, um zu sehen, wo die Fährte endete.
Die Spuren führten zur Blockhütte mit dem Leoparden darin. Als er die Taschenlampe auf den Eingang richtete, bemerkte er, dass die Tür offenstand.
Ehe er sich versah, erklang der Schrei einer Frau.
»Lena!«
Caitlyn schwirrte der Kopf vor lauter Fragen. Aber das machte nichts: Antworten zu finden war ihre große Stärke. Häufig, indem sie Muster und Möglichkeiten erkannte, die anderen verborgen blieben. Manchmal hatte sie auch einfach Glück. Meistens war es jedoch schlicht ihrer grenzenlosen Hartnäckigkeit geschuldet.
So wie heute Abend. Die Reaper hatten eindeutig mit Lenas Verschwinden zu tun. Und Lena musste noch am Leben sein, sonst hätten sie Caitlyn nicht davor gewarnt, weiter nach ihr zu suchen. Hatten sie Lena in ihrer Gewalt und wollten Caitlyn von der Fährte weglocken? Oder suchten sie auch nach Lena, und es ging ihnen darum, die Konkurrenz auszuschalten?
Wenn die Rocker in die Sache mit Lena verwickelt waren, dann steckten sie aller Wahrscheinlichkeit nach auch hinter dem Mord an Eli. Und dann wiederum konnten sie auch etwas mit dem zu tun haben, wegen dessen Eli überhaupt erst im Gefängnis gelandet war.
War es möglich, dass alles, woran sie die letzten sechsundzwanzig Jahre geglaubt hatte, eine Lüge war? Könnte Eli unschuldig gewesen sein?
Sie fröstelte trotz des aufgedrehten Heizgebläses. Und wenn ihr Vater sich vielleicht gar nicht selbst umgebracht hatte?
Der Gedanke war ein vertrauter Dämon, mit dem sie schon ihr ganzes Leben rang. Nur zu gerne hätte sie einen Weg gefunden, Sean Tierney lieben zu können, die Wut abzuschütteln, dass er sie allein zurückgelassen hatte. Nur zu gerne hätte sie einen Vater gehabt, dessen Liebe zu seiner Familie jeder Bedrohung standgehalten hatte.
Und so sehr sie sich auch gegen solche Sehnsüchte verhärtete, immer wieder war da diese kleine gemeine Stimme in ihrem Inneren:
Vielleicht hat er dich nicht geliebt. Vielleicht hast du es nicht verdient, geliebt zu werden.
Nein. Sie blinzelte heftig und stellte die Scheibenwischer eine Stufe höher, um in dem durch die Dunkelheit treibenden Schnee überhaupt noch etwas erkennen zu können. Sie hatte keine Zeit für solche Grübeleien.
Sie fuhr auf den verwaisten Parkplatz eines Einkaufszentrums, in dem es neben einem mexikanischen und chinesischen Schnellimbiss auch noch ein BBQ und einen
McDonalds
gab, außerdem ein koreanisches Nagelstudio und einen Ein-Dollar-Discounter.
Sie langte nach ihrem Handy und wählte eine Nummer. »Boone? Hier Tierney.«
»Wissen Sie, wie spät es ist?«
»Verflucht. Nein. Tut mir leid, habe ich Sie geweckt?«
»Nein.« An seinem Seufzen hörte sie, dass das nicht sarkastisch gemeint war. »Ich schlafe nicht mehr besonders viel. Was gibt’s?«
»Haben Sie da bei sich irgendwelche Banden, die den Reapern nahestehen?«
»Dank der lieben Bundesbehörde haben wir so gut wie jede Sorte bei uns. Man teilt sie auf die verschiedenen Einrichtungen auf, um Ärger zu vermeiden.« Deswegen saßen auch die Sureños aus Kalifornien dort ihre Strafe ab. »Also ja, ich bin mir sicher, wir haben auch ein paar Reaper. Hängen die nicht auch irgendwie mit Aryan Nation zusammen? Von diesen Nazi-Brüdern sitzen jede Menge bei uns ein.«
»Das weiß ich nicht. Ist nicht gerade mein Fachgebiet.«
»Und was haben die Reaper mit meinem kleinen Himmelreich hier zu schaffen?«
»Es gibt eine Gruppe von ihnen in Evergreen, dem Heimatort von Eli Hale. Ich vermute, dass sie in den Anschlag auf ihn verwickelt sind.«
»Würden Sie mir vielleicht auch erklären, wie Sie darauf kommen? Hale hatte nie irgendwelche Probleme mit Rockern – egal welcher Klub –, mit den Nazis eigentlich auch nicht. Weshalb sollten sie ihn ausgerechnet jetzt attackieren?«
Gute Frage. »Da bin ich dran. Wenn Sie einfach auch versuchen könnten, ob Sie auch etwas herausfinden?«
»Sicher, ich habe ja sonst nichts zu tun.«
Er legte auf und sie grübelte weiter. Der Überfall im
VistaView
war nicht zufällig geschehen. Offenbar hatte Goose ihre Zimmernummer mitbekommen. Oder die Reaper hatten jemanden an der Rezeption bestochen. Wenn sie schon die Zimmernummer kannten, wie schwer war es dann wohl, eine Schlüsselkarte zu bekommen?
Vielleicht hatte Weasel ihr hinter
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