Schweig still, mein totes Herz (German Edition)
gedacht? Du hättest umgebracht werden können. Dich ganz mit einer solchen Bande anzulegen. Bist du verrückt?«
»Ich weiß, was ich tue.«
»Deine Mutter sagte, es würde um irgendein Mädchen gehen, das du seit fünfundzwanzig Jahren nicht gesehen hast? Das hat nichts mit deiner Arbeit zu tun. Und selbst wenn, solltest du dann nicht Verstärkung haben, ein Team oder irgendetwas in der Art? Man stürmt doch nicht einfach so alleine da rein und …«
»Manchmal schon. Um etwas herauszubekommen. Ich hatte alles unter Kontrolle, bis du reingeplatzt bist.«
»Für mich hat das anders ausgesehen.« Er atmete seufzend aus. Und setzte diesen resignierten Blick auf, wie immer, wenn er sich als der Erwachsenere in ihrer Beziehung aufspielte. Sie konnte es nicht ausstehen, wenn er das tat. »Ich bewundere deine Loyalität. Deinem Job gegenüber. Selbst Freunden gegenüber, die du jahrelang nicht gesehen hast. Aber wann denkst du endlich auch mal an dich? Bist auch mal loyal deiner Familie gegenüber und den Menschen, die dich lieben?« Er legte ihr die Hände auf die Schultern und sah sie von oben an. »Caitlyn, ich weiß nicht, was ich tun würde, wenn dir etwas zustoßen sollte.«
Die Anspannung wich aus ihrem Körper. Sie wurde weich und ließ sich von Paul in den Arm nehmen, obwohl sie wusste, dass sie ihre Feigheit am nächsten Morgen bereuen würde. Seine Stärke verlockte dazu, alles andere zu vergessen, sich einfach umsorgen zu lassen, und sie war so erschöpft.
»Ich hasse es, wenn wir uns streiten«, sagte er mit den Lippen an ihrem Haar. »Ganz besonders, wenn ich das Gefühl habe, dass ich der Einzige von uns beiden bin, der sich bemüht. Um uns.«
Seine Worte weckten nur noch mehr Schuldgefühle in Caitlyn. Sie sollte diesen Mann lieben – welche halbwegs vernünftige Frau würde das nicht? Er war zärtlich und aufmerksam und ehrlich und gutaussehend und hatte heute Abend wirklich Mut bewiesen. Sie fühlte sich zu ihm hingezogen, war gerne mit ihm zusammen … war das nicht Liebe? Vielleicht wartete Caitlyn auf ein Gefühl, das es gar nicht gab?
Die Stille dehnte sich aus, aber er drängte nicht auf eine Antwort. Gütig und geduldig war er nämlich auch noch. Sie konnte bloß hoffen, dass er nie eine ähnliche Liste von ihren positiven Charaktereigenschaften erstellte. Die wäre nämlich verdammt kurz.
»Dieser Fall«, sagte er, das Gesicht immer noch in ihrem Haar vergraben. »Das ist nichts Offizielles, habe ich recht?«
Sie löste sich aus der Umarmung und blickte ihn misstrauisch an. Wenn er sie bat, den Fall aufzugeben …
»Das bedeutet also, du darfst mir davon erzählen und ich kann dir vielleicht sogar helfen«, bot er an. Er setzte sich auf die Bettkante. »Fang ganz von vorne an.«
Sie würde niemanden reinziehen, der nicht zum FBI gehörte – schon gar nicht Paul. Bei seinem heutigen Versuch, zu helfen, hatte er sie beide in Lebensgefahr gebracht. Aber dieses wirre Gespinst in Worte zu fassen half ihr vielleicht dabei, ihre Gedanken zu ordnen und eine neue Perspektive zu gewinnen. Also ließ sie sich in einen der Sessel sinken, zog die Beine an und schlug sie untereinander, sodass sie im Schneidersitz dasaß, stützte sich auf dem Ellbogen ab und legte das Kinn in die Handfläche.
»Von vorne? Ich weiß eigentlich gar nicht, wann alles anfing. Zuerst dachte ich, mit dem Mord, den Lenas Vater vor sechsundzwanzig Jahren begangen hat, aber jetzt bin ich mir da nicht mehr sicher.«
»Ihr Vater hat jemanden umgebracht?«
»Tommy Shadwick, einen Stammesältesten der Östlichen Cherokee. Hat ihn mit einem Hammer erschlagen und sein Haus mit dem Leichnam darin angezündet, um alles zu vertuschen.«
Paul machte große Augen. Typisch für Menschen außerhalb des FBI . Sobald es blutrünstig wurde, waren sie ganz bei der Sache. »Tatsächlich? Warum?«
»Ich war damals noch ein Kind. Erst später las ich etwas über das Motiv. Es ging um Tommys Widerstand dagegen, dass Hale sich und seine Familie ins Stammesregister eintragen wollte. In Oklahoma war gerade dieser große Fall vor Gericht verhandelt worden, in dem ehemaligen afrikanischen Sklaven Stammesrechte zugesichert wurden. Schätze, Hale wollte seiner Familie auch ein Stück vom Kuchen sichern, da genau zu dieser Zeit die Spielkonzessionen verteilt wurden.«
»Das Spielkasino war also der Grund dafür, dass er einen Mann umgebracht hat? Nur weil er an den Gewinnen beteiligt werden wollte?« Paul schien bestürzt; er hatte wohl etwas
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