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Schweig wenn du sprichst

Schweig wenn du sprichst

Titel: Schweig wenn du sprichst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roel Verschueren
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Zustimmung der noch lebenden Ehegattin der Person beiliegen, auf die sich die Frage nach Informationen richtet. Es steht dem Anfragenden frei, eine neue Anfrage einzureichen, die mit der erforderlichen Anlage, wie beschrieben, ausgestattet ist.
    Victor warf das Fax auf den niedrigen Tisch vor sich hin und sagte: »Das wird ja immer besser!« Er rieb sich mit den Händen das Gesicht und blies langsam den Rauch aus seinen Lungen.
    »Lilly?«
    »Und?«
    »Es sind offensichtlich dunkle Mächte am Werke, die mich irgendwie zu meiner Mutter zurücktreiben.«
    »Hä?«
    »Ich kann nicht einmal die simple Frage, ob es eine Akte über meinen Vater gibt, ohne Zustimmung meiner Mutter beantwortet bekommen.«
    »Oh-oh!«
    »So ist es«, seufzte Victor. »Es schreit doch zum Himmel, dass es nach mehr als sechzig Jahren immer noch unmöglich ist, Zugang zu diesen Dingen zu bekommen? Dieser auf Lebenszeit ernannte Sack von einem königlichen Staatsanwalt müsste doch wissen, dass es Menschen gibt, die darauf warten, dass er seinen faulen Arsch hochbekommt und die Arbeit tut, für die er bezahlt wird, ohne ihnen das Leben zusätzlich schwer zu machen.«
    »Dann geh doch einfach heute Abend zu deiner Mutter und lass deinen Charme spielen«, sagte Lilly.
    »Ich fürchte, dass ich mit Charme allein nicht weiterkomme. Ich glaube, dass ich sie umbringen muss, bevor ich die Antwort der offiziellen Stellen kriege.«
    »Nicht schön«, sagte Lilly.
    »Ich rufe sie an und fahre heute Abend noch hin. Ich fürchte, das ist die einzige Möglichkeit.«
    »Viel Glück«, sagte Lilly. »Und Victor?«
    »Ja.«
    »Bleib ruhig, auch wenn sie es dir schwer macht. So wie es aussieht, brauchst du sie noch eine Weile.«
    »Ich bin ruhig«, sagte Victor.
    »Nein, das bist du nicht.«
    Victor wartete. Sie hatte recht. Er musste zuerst seine Gedanken ordnen, darüber nachdenken, wie er es anpacken sollte.
    »Danke«, sagte er. »Wenn es zu spät wird, rufe ich dich nicht mehr an. Dann sprechen wir uns morgen, okay?«
    »Du wirst sehen«, sagte Lilly. »Wenn ich dir helfen kann, dann sag es einfach. Viel Erfolg!«
    »Danke. Bis später.«
    Während der Fahrt wiederholte er seine Argumentation. Er tauchte tief in seine Erinnerungen an seinen Vater und die Empfindlichkeiten seiner Mutter ein, um die richtigen Worte zu finden, die er zu Sätzen aneinanderreihen würde. Dieses Mal würde sie zuhören. Er deckte alle Gegenargumente mit Erwiderungen ab, überlegte sich Anekdoten, um das Eis zu brechen, formulierte Fragen, um Interesse zu wecken, Jugendpossen, um Emotion einzubauen. Er nahm sich vor, lange zuzuhören, nur ab und zu selbst etwas zu sagen, bis das Gespräch in die richtige Richtung verlaufen würde. Als er klingelte, holte er tief Luft, schüttelte heftig den Kopf und ballte die Fäuste. »Auf geht’s!«, sagte er leise.
    Eine halbe Stunde später stand Victor wieder draußen in der warmen Nacht. Sie hatte sich halsstarrig geweigert, ihre Unterschrift für die Anfrage zu geben. Victor sah zu den Sternen. Er realisierte, dass sie mehr Argumente hatte, nicht zu unterschreiben, als er, um sie von der Bedeutung, die diese Sache für ihn hatte, zu überzeugen. »Ich lebe schon seit fünfunddreißig Jahren allein«, hatte sie gesagt. »Und zwar auch mit meiner Vergangenheit. Und ich muss dir ehrlich sagen, dass ich mich darauf inzwischen eingestellt habe. Es ist gut so für mich.«
    Victor hatte noch versucht, sie davon zu überzeugen, dass es um die Vergangenheit seines Vaters ging, nicht um ihre. »Auch die gehört zu mir«, hatte sie geantwortet. »Denn sie ist mehr mit meiner Vergangenheit als mit deiner verwoben. Und übrigens: Was wäre das Schlimmste, das du über deinen Vater erfahren könntest?«
    Er konnte nicht antworten.
    »Du musst eben warten bis ich tot bin«, hatte sie noch gesagt. »Und wenn du so weitermachst, wird das auch nicht mehr lange dauern. Dann brauchst du mich nicht mehr.«
    Victor hatte wütend festgestellt, dass seine Mutter die Situation hundert Mal besser beherrschte als er. Er hatte den kleinen Triumph in ihren Augen gesehen. Er sah ihr immer an, wenn sie erkannte, dass sie ihn zwingen konnte, wiederzukommen. »Denkst du nicht, dass es besser ist, wenn ich die Wahrheit von dir erfahre, anstatt halbe Wahrheiten von anderen?«, hatte er am Ende noch gefragt.
    Sie hatte gelächelt. »Das denke ich nicht, Victor. Dieses Mal bist du auf dich allein gestellt.«
    »Wieso dieses Mal?«, hatte er geantwortet. »Ist es denn jemals

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