Schweig wenn du sprichst
12/165/J.F auf deinem Scheißserver zu suchen und lass mich einfach so weitermachen wie bisher. Übrigens, der Vorschuss ist noch nicht auf meinem Konto eingetroffen.«
»Wieso, der müsste schon lange drauf sein.«
»Das weiß ich, Jef. Aber du wirst meine Datei bestimmt schneller finden als ich mein Geld.«
»Wenn es noch nicht überwiesen wurde, dann erledige ich das morgen als Erstes.«
»Jaja, das glaube ich erst, wenn ich es sehe.« Victor beendete das Gespräch.
»Aber hallo …«, sagte Walter. »Da habe ich wohl gerade Albert persönlich gehört.«
»Walter, er war für uns einfach ein anderer Mann als der, den du beschreibst.«
»Nun, ich habe jedenfalls das herrliche Gefühl, endlich eine alte Schuld begleichen zu können. Teilen zu können, was nicht nur mir gehören sollte.«
»Wo fangen wir an?«
»Lass mal hören. Du hast konkrete Fragen, stimmt’s?«
»Okay.« Victor strich sich durch die Haare und atmete tief ein. »Gehen wir wieder hinein?«
»Warte kurz«, sagte Walter. »Es gibt Fragen, auf die ich nicht antworten kann. Ich möchte einfach, dass du das weißt.«
»Wieso? Ich dachte, dass du jetzt frei darüber sprechen kannst?«
»Das kann ich auch, aber ich weiß eben auch nicht alles. Und von Vermutungen hast du nichts. Also, wenn ich nicht antworten kann, ist es wirklich kein böser Wille. Du musst mir glauben, dass ich die Antwort dann wirklich nicht weiß, okay?«
»Verstanden.«
Sie traten ins Haus und setzten sich an den Tisch. Victor nahm die Weinflasche und goss sein Glas voll. Er hielt die Flasche in Walters Richtung und sah ihm an, dass er mittrinken wollte. »Mein Vater ist im Februar 1942 nach Österreich gefahren. Richtig?«
»März 1942, von Antwerpen aus«, verbesserte Walter.
»März. Er ist mit der Flämischen Legion aufgebrochen. Richtig?«
»Richtig.«
»Er hat eine Ausbildung in Graz absolviert. Richtig?«
»Richtig.«
»Er hat dann die Offiziersausbildung begonnen und ist nicht mit dem Rest der Gruppe nach Breslau gegangen«, spekulierte Victor.
»Richtig.«
Victor nahm einen Schluck. »War diese Ausbildung in Deutschland?«
»Weiß ich wirklich nicht.«
»Okay.« Victor dachte nach. Dann brachte er es auf den Punkt. »Er war in Gefangenschaft.«
»Ja.«
»Wie lange?«
»Fünf Jahre.«
»Was?«
»Er ist Ende 1944 wegen einer Operation nach Flandern zurückgekommen. Sie haben ihn aus dem Krankenbett geholt, und er wurde eingesperrt.«
Victor stand auf und lief im Zimmer herum. Er ballte beide Fäuste und sagte: »Onkel Charles, das hast du ja sauber hingekriegt.«
»Was?«, fragte Walter.
»Meine Familie hat mich die ganze Zeit verarscht. Entweder wussten sie nicht mehr oder sie ahnten, worauf ich hinauswollte, und haben sich geschickt herausgewunden. Verdammt, ich hätte sie härter anpacken müssen.«
»Victor, quäl dich nicht. Es hätte nichts geändert.«
»Warum denn nicht? Ich hätte einfach sitzen bleiben und weiterfragen müssen, bis Antworten kommen. Wieso mich nicht quälen? Ich habe meinen Vater erst kennengelernt, als ich fünf war, und die ganze Zeit war er angeblich im Ausland, um zu arbeiten!«
»Du hättest die Antworten nie gekriegt.«
»Warum nicht?«
Walter seufzte. »Weil sie alle, genau wie ich, dieselben Versprechen gegeben haben. Und sie wurden dafür auch noch bezahlt.«
Victor spürte, dass ihm übel wurde. »Meinst du, dass mein Vater euch alle bezahlt hat, damit ihr schweigt?«
»Ja, aber nicht so, wie du es dir vorstellst. Du hast zu viele Mafiafilme gesehen. Er bezahlte mich und viele deiner Verwandten, indem wir für ihn arbeiteten. Eine Festanstellung zu haben bedeutete sehr viel, besonders in jener Zeit. Albert unterstützte die ganze Familie finanziell. Wo er konnte, half er aus. Er schuf so die ideale Formel: Dankbarkeit und Abhängigkeit, und die führten zu einem nahezu blinden Gehorsam und Respekt für das, worum er bat … Wir haben ihm alle aus der Hand gefressen. Komm, gehen wir eine Runde.«
Sie spazierten den Fußgängerpfad entlang, der dem breiten Fluss in Richtung Stadt folgte. Victor schaute sich die flachen Lastkähne an, die in entgegengesetzter Richtung an ihnen vorbeifuhren. Er atmete ein paar Mal tief durch.
»Das stinkt«, sagte Victor.
»Du musst nicht so übertreiben. So schlimm ist es auch wieder nicht«, sagte Walter.
Victor sah ihn verwirrt an. »Was meinst du?« Er zwinkerte mit den Augen. »Nein, ich meine, dass der Fluss immer noch genauso stinkt wie in meiner
Weitere Kostenlose Bücher