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Schweig wenn du sprichst

Schweig wenn du sprichst

Titel: Schweig wenn du sprichst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roel Verschueren
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Rückspiegel. Der Wagen hinter ihm blinkte mit den Scheinwerfern. Als Victor nach vorne schaute, sah er, dass der Stau sich aufgelöst hatte. Er streckte seine Hand zur Entschuldigung aus dem Fenster und fuhr weiter.

18
    Von dem kleinen Eckbalkon auf der ersten Etage des geräumigen Hauses hatte Victor vollständig freie Sicht auf das grüne Tal. Ab und zu senkte sich leise ein Flugzeug herab. Der kleine Flughafen glich einem Spielzeug, mit grauen Banden, weißen Linien und Grünstreifen, wo die orangefarbenen, gelben, blauen oder weiß-roten Flugzeuge in ununterbrochener Bewegung wie Taxis auf der Landebahn ankamen, irgendwann stillstanden und die Motoren stoppten. Er starrte die kleinen Wagen mit ihren seltsamen Formen an, die hin- und herfuhren, während hundert kleine Ameisen in einer langen Reihe von der Maschine zum türkis-blauen Flughafengebäude liefen. Moira stand auf einem Stuhl, mit den Armen über dem Balkongeländer und schaute sich neugierig um. Er erzählte ihr, dass er vor sehr langer Zeit selbst eine dieser kleinen Ameisen gewesen war, die sie dort unten sah. Dass er im Februar oder März immer wieder zum Winterurlaub gekommen war, immer in einem dieser kleinen Flugzeuge – nein, er erinnerte sich nicht mehr, welche Farbe es gehabt hatte – und dass ihre Mama all die Jahre so nah an der Landebahn gewohnt hatte.
    »Und sie hat genauso fasziniert geschaut wie ihre Tochter«, sagte Lilly, die auf den Balkon kam. Sie nahm Moira in die Arme und stellte sich neben ihn. Sie legte ihren freien Arm auf seine Schulter und zog ihn nah zu sich heran. »Ich bin froh, dass du da bist«, sagte sie.
    »Die zwei zusätzlichen Stunden im Stau waren zu viel«, antwortete Victor abgespannt. »Aber, immerhin, ich bin da.«
    Lilly massierte mit ihrer freien Hand seinen Nacken.
    »Mir wird jetzt erst richtig bewusst, wie häufig ich dir schon ganz nah war«, sagte er.
    »Ein paar Hundert Meter von der großen Rebellin entfernt. Das Mädchen mit dem kurzen Pony, das ein Junge sein wollte und in seinen Englischlehrer verliebt war«, lachte Lilly, »und das chronisch schwänzte und aus der Reihe tanzte. Das Essen ist fertig.«
    Victor ging mit Lilly und Moira in die Küche, wo Markus schon am Tisch saß und auf das Abendessen wartete. Markus begrüßte sie herzlich und nahm Moira schnell auf seinen Schoß. Nach dem Essen gab Lilly ihrem Vater das Notizbuch, das sie von ihm bekommen hatten, zurück.
    »Und? Interessant?«, fragte Markus amüsiert.
    »Nicht nur interessant«, lachte Victor, »sondern auch voller unglaublicher Zufälle, die mich ziemlich verwirrt haben.«
    »In Gottes Wörterbuch kommt das Wort Zufall nicht vor. Schicksal, das verstehe ich noch, aber Zufall habe ich aus meinem Vokabular gestrichen.«
    »Papa, jetzt übertreib nicht«, sagte Lilly.
    »Du kennst ihn doch«, sagte ihre Mutter. »Er bestimmt, was in Gottes Wörterbuch steht, so wie es ihm passt.«
    »Schlag mal die Bibel auf. Du wirst sehen, dass das Wort nicht drinsteht.«
    »Ich glaube zu wissen, dass im ersten Buch Samuel steht, Kapitel 6, Vers 9: Wenn es nicht die Hand des Herrn war, dann hat uns der Zufall getroffen«, sagte Victor.
    Lilly und Katharina sahen Victor ungläubig an.
    »Und woher weißt du das?«, fragte Lilly.
    Victor sah, dass Katharina Spaß daran hatte.
    »Weil ich vor nicht allzu langer Zeit eine Recherche zur ›unabdingbaren Wahrheit‹ gemacht habe. Darin ging es ausführlich um den Zufall. Und da tauchte diese Quelle auf«, sagte Victor so unbewegt wie möglich.
    »Auf dem eigenen Feld geschlagen!«, lachte Katharina und klopfte ihrem Mann auf die Schulter.
    Markus hob die Arme in die Luft und ließ sie wieder sinken. Er bekreuzigte sich und stand vom Tisch auf. Er nahm das Notizbuch mit. Bevor er die Küchentür erreichte, drehte er sich um und hielt es in die Luft. »Victor, bevor ich es vergesse … Dürfte ich dich bitten, meine alte Zimmerwirtin aufzusuchen, wenn du wieder einmal in Belgien bist? Sie hat seit zwei Jahren meine Neujahrswünsche nicht mehr beantwortet und ich wüsste gern, ob sie noch lebt.«
    »Gern«, sagte Victor. »Gibst du mir ihre Adresse?«
    »Ich muss danach suchen, aber ich lege sie auf den Schrank an der Eingangstür, zusammen mit einem kleinen Präsent.«
    »Okay. Markus, hast du morgen etwas Zeit für mich?«
    »Äh … Lass mich nachdenken … Zwischen sieben und acht, danach muss ich in die Kirche.«
    »Dann um sieben Uhr in deinem Arbeitszimmer?«
    »Gut. Bis morgen früh.« Markus

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