Schweig wenn du sprichst
Papiere von Stefan und sah sie noch einmal durch.
»Ist das sein Dienstgrad?«
Stefan schaute auf das Wort, auf das Victor zeigte. »Ja, er war Offizier bei der Waffen- SS . Sie schreiben auch, dass die Möglichkeit besteht, dass beim Bundesarchiv in Berlin noch mehr Dokumente liegen, die Bezug auf deinen Vater haben.«
»Zu Tisch«, sagte Lilly. »Victor, machst du den Wein auf? Andrea, was trinkst du?«
Victor und Stefan hatten heimlich vereinbart, dass sie am Tisch nicht über ihre Recherchen und den jeweiligen Stand der Dinge sprechen wollten.
»Das schmeckt ganz wunderbar«, sagte Andrea.
»Danke.«
»Und, wann zieht der zukünftige Vater nach Wien?«, fragte Lilly.
»Er weiß es noch nicht«, sagte Andrea.
»Was? Wann er umzieht oder dass er Vater wird?«
»Willst du es ihm irgendwann sagen?«, fragte Victor. »Oder ziehst du das allein durch?«
»Jetzt noch nicht … Ich bin noch nicht bereit dafür.«
Victor schaute nach Moira, sie war aufgewacht.
Lilly spülte nach dem Essen die Teller ab und reichte sie an Andrea weiter, die sie in die Spülmaschine stellte. »Ich habe Angst, Lilly.«
»Ich weiß«, sagte Lilly. »Ich weiß. Angst ist okay.« Sie gab Andrea einen weiteren Teller.
»Hattest du Angst?«
»Ich? Ich bin ausgerastet!« sagte sie. »Ich wusste nicht, in welcher Ecke ich mich zuerst verkriechen sollte.« Lilly drehte den Hahn zu. »Ich bin durch alle Straßen des ganzen Bezirks geirrt. ›Lilly ist schwanger‹, hab ich laut vor mich hin wiederholt, ›Lilly ist schwanger‹. Bis ich es irgendwann geglaubt habe und Victor erzählen konnte.«
»Ich weiß nicht, ob ich schon bereit dafür bin«, sinnierte Andrea. »Warst du es?«
»Bist du verrückt? Ich war sechsunddreißig, hab allein gewohnt und war total glücklich damit. Ich hab meinen Job geliebt und mich kaputt gearbeitet. Ich hatte mein soziales Netzwerk, die Barkeeper wussten, wie ich meinen Caipi mag, und ich hatte ein Einkommen, das gerade ausreichte, um nicht jeden Monat meinen Bankdirektor am Telefon zu haben.«
»Aber das bedeutet nur, dass dein Leben anders war. Wolltest du ein Kind?«, fragte Andrea.
Victor kam wieder in die Küche und schaute die beiden Frauen an. Er sah, dass Lilly nachdachte. Die Falte auf der Stirn verriet es.
»Ich musste erst schwanger werden, um mir bewusst zu werden, wie sehr ich mich danach sehnte«, sagte Lilly. »Ich glaube, ich müsste mit ›ja‹ antworten. Ich war nur nicht bereit, mein Leben auch noch mit einem Mann zu teilen. Weißt du noch, unsere Gespräche darüber, was ich für die ideale Form des Zusammenwohnens hielt, Victor?«
Er lachte. »Separat!«, sagte er.
»Genau. Das hat mir mehr schlaflose Nächte bereitet als Moira. Und auch das hat sich von selbst geregelt. Ich konnte Victor unmöglich bitten, nach Wien zu ziehen, weil wir einander liebten und zusammen ein Kind bekamen, und ohne mit der Wimper zu zucken hinzufügen, dass wir für ihn ein getrenntes Appartement suchen würden. Und glaub mir, mit Victor zusammenzuwohnen, ist die beste Entscheidung, die ich je getroffen habe, und nicht nur aus praktischen Gründen.«
»Das ist lieb von dir«, sagte Victor und legte seinen Arm um ihre Schultern.
»Ich würde Moira nicht gern allein erziehen und ich wäre nicht gerne Mutter, ohne den Vater des Kindes an meiner Seite. Allerdings war bei uns eine wichtige Bedingung dafür erfüllt …«, sagte Lilly. »Liebst du Björn?«
»…«
»Andrea?«
»Ich weiß es nicht, Lilly. Ich weiß es nicht. Wenn ich euch beide anschaue, dann …«
»Hoho, stop it. Don’t live your life by comparison, sweetheart!«
»Victor ist ein junggebliebener Romantiker, und das passt häufig sehr gut, aber er geht mir genauso oft auf die Nerven wie ich ihm. Solange wir das im Gleichgewicht halten können, ist es kein Thema. Komm, setz dich. Ich gebe dir noch ein Glas.«
»Mache ich schon«, sagte Victor.
»Nein, danke. In meinem Zustand ist ein Glas wohl genug. Hast du jemanden wirklich geliebt, bevor du Victor kennengelernt hast?«, fragte Andrea.
»Was? Natürlich habe ich Männer vor Victor lieb gehabt. Es war einfach anders. Es war … Naja … Einfach anders.«
»Soll ich euch allein lassen?«, fragte Victor.
»Nein, bleib ruhig da«, antwortete Lilly.
»Ich weiß eigentlich gar nicht, wie es ist, jemanden wirklich zu lieben«, sagte Andrea, »und das macht mir Angst.«
»Du hast keine Angst«, sagte Lilly. »Angst ist etwas anderes. Du zweifelst und das ist völlig in Ordnung.
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