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Schweig wenn du sprichst

Schweig wenn du sprichst

Titel: Schweig wenn du sprichst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roel Verschueren
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gleich.«
    Anna legte auf. Er stand vom Sofa auf und ging in sein Arbeitszimmer.
    Das Faxgerät spuckte drei Seiten aus. Der Text war an den Rändern teilweise schlecht zu lesen. Das Gerät piepte noch einmal und Victor bekam den Faxbericht. Das dauerte Lilly zu lange. Sie stellte sich neben ihn, das Kinn auf seiner rechten Schulter. »Und? Wichtig?«, fragte sie.
    »Wichtig«, sagte Victor. Als er zu Ende gelesen hatte, nahm er die Papiere mit zurück auf das Sofa und Lilly schmiegte sich neben ihn.
    »Es ist ein offizielles Dokument des Justizministeriums, vom Gefängnis in Mechelen. Es ist eine Aufstellung aller Strafanstalten, in denen mein Vater bis zu seiner Freilassung gesessen hat. Schau, er ist in diesen fünf Jahren elfmal umgezogen. Das sind die Namen der Anstalten, daneben die Zeiträume. Der kürzeste Zeitraum ist ein Monat, der längste fast anderthalb Jahre. Und hier steht das Datum seiner Gefangennahme, das Datum seiner vorläufigen Freilassung, abgesessene Gefangenschaft: tausendachthunderteinunddreißig Tage.«
    »Was sind das für Daten?«, fragte Lilly.
    »Es ist eine Liste der Tage, an denen er sich nach seiner Freilassung melden musste. Wahrscheinlich um zu beweisen, dass er das Land nicht verlassen hatte. Und hier steht, dass er seine definitive Haftentlassung im September 1968 bekommen hat. Er ist also streng genommen zu fast zwanzig Jahren verurteilt worden. Ich habe Anna versprochen zurückzurufen.«
    Victor benutzte das Festnetz und tippte Annas Nummer. »Und? Zufrieden?«, fragte Anna.
    »Was heißt zufrieden. Natürlich bin ich froh über jedes Stück Information, aber so weit war ich inzwischen auch schon.«
    »Ich wusste nicht, dass er gesessen hat«, sagte Anna. »Hast du gesehen, dass er zu zwanzig Jahren verurteilt wurde? Was bedeutet das im Bezug auf seine Taten?«
    »Eigentlich nicht sehr viel. Bei meinen Recherchen hat sich herausgestellt, dass die Repressalien gegen die Ersten, die zurückgekommen sind, viel härter waren als später. Er gehörte zu den Ersten, und die wurden alle wegen militärischer Kollaboration zum Tode verurteilt. Aber das wurde ziemlich schnell in lebenslänglich umgewandelt. Und später wurde lebenslang schrittweise zu zwanzig Jahren abgemildert, wobei viele auch schon früher entlassen wurden. So wie er.«
    »Es ist also kein Gradmesser für das, was er getan hat?«
    »Es gab nicht immer einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Grund der Verurteilung und der Schwere der Strafe, aber oft. So habe ich es verstanden.«
    »Dann weiß ich genug. Ich möchte nicht mehr wissen. Danke. Ich hoffe, dass dich das alles weiterbringt. Und Victor …«
    »Ja.«
    »Mutter hat noch gesagt, dass das kein Signal ist, dass sie jetzt doch bereit ist darüber zu sprechen. Es sollte eine Geste sein, nicht mehr. Ich hoffe, du verstehst das.«
    »Längst. Ich bin erst mal zufrieden«, sagte Victor.
    »Schönen Gruß.« Anna legte auf.
    »Victor, was bedeutet ›ongehuwd‹?«, fragte Lilly.
    »Was? Wo steht das?«
    »Hier unten auf der Seite, zwischen seinem Namen und einer Adresse.«
    Victor nahm das Blatt und las den Paragraphen durch, den Lilly ihm gezeigt hatte. Er warf das Blatt weg. Langsam trudelte es auf den Boden. »Ich wurde als Bastard geboren. Meine Eltern haben offensichtlich doch nicht im Krieg geheiratet.«
    Er ließ sich auf das Sofa fallen. »Es hört einfach nicht auf«, seufzte er.
    »Was denn?«
    »Die Lügen natürlich!« Er stand auf und ging zu seinem Arbeitszimmer, drehte sich aber um. »Und dabei stehen alle Beichtstühle leer«, rief er ernst. Lilly hielt sich schnell die Hand vor den Mund, aber ihre Augen lachten. Als er auch grinsen musste, brach sie in ein brüllendes Lachen aus.
    Victor bemerkte, dass eine E-Mail für ihn angekommen war. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und fing an zu lesen:
    Sehr geehrter Herr,
    Sie haben sich vor einigen Wochen als Besucher meiner Mutter in das Register des Pflegeheims Zonneglans eingeschrieben und etwas Zeit mit ihr verbracht. Angesichts der empfindlichen Situation, in der sich meine Mutter befindet, möchte ich Sie bitten, mir den Grund dafür mitzuteilen, damit ich den Vorfall einordnen kann. Gleichzeitig möchte ich wissen, ob Sie die Absicht haben, sie noch häufiger zu besuchen. Sollte das der Fall sein, würde ich Sie bitten, sich dann zuerst bei mir zu melden und nicht ohne meine Begleitung Kontakt mit ihr aufzunehmen. Sie können mich jederzeit über die unten stehende elektronische Adresse

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