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Schweig wenn du sprichst

Schweig wenn du sprichst

Titel: Schweig wenn du sprichst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roel Verschueren
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darf ich dir noch ein paar Fragen stellen?«
    »Darum geht es doch, dachte ich.«
    »Du hast mir gesagt, das Einzige, was du nicht weißt, ist, was mein Vater im Krieg genau getan hat, um das Strafmaß zu verdienen, das er bekommen hat.«
    »Stimmt. Darüber habe ich keine Informationen. Ich glaube, das kann man nur in seiner Strafakte finden.«
    »Das vermute ich auch. Noch etwas anderes: Gab es jemals in seinem Leben einen Augenblick, in dem du bei ihm eine große Veränderung bemerkt hast?«
    »Was meinst du mit großer Veränderung?«
    »Nun ja, du weißt schon, wenn einschneidende Dinge passieren, kann jemand plötzlich seine Haltung ändern, Gewohnheiten ändern, verrückte Sachen machen.«
    »Hmm … Vielleicht gab es eine große Wende an dem Tag, als der Postbote seine endgültige Freilassung gebracht hat. War das jetzt ’68 oder ’69? Ich habe meine Notizen nicht neben mir liegen. Normalerweise kam die gesamte Post bei Martha an, für den Fall, dass etwas unterschrieben werden musste. Das war an diesem Tag anders.«
    »Wieso anders?«
    »Der Postbote brachte ein Paket zu Alberts Büro, für das nur er unterschreiben konnte. Ich erinnere mich, dass dein Vater mich anschließend geholt hat, damit wir zusammen einen trinken gehen. Für ihn bedeutete das Postpaket, dass er wieder vollwertig war, als Mann, als Bürger, vollwertig als Flame … Weißt du, was ich meine?«
    »Hat er dir das Dokument gezeigt, in dem seine offizielle Freilassung bescheinigt wurde?«
    »Ja. Und er hat mir am selben Tag gesagt, dass er ab sofort jeden Mittwoch frei nehmen werde. Und dass er nicht mehr zu Martha gehen werde, um sie die Papiere unterschreiben zu lassen. Innerhalb einer Woche hatte er alle Vollmachten geregelt und überließ alles mir. Wir haben damals mehr als ein Glas darauf getrunken. Weißt du, Victor, er war zwar nach fünf Jahren Gefängnis frei gewesen, aber er saß für weitere zwanzig Jahre in einer anderen Zelle. So musst du es sehen. Und ich meine damit nicht nur die Situation mit deiner Mutter.«
    »War es ein normaler Umschlag mit einem Brief oder war es mehr?«
    »Oh, es war ein ganzes Paket. Er hatte alles neben sich auf die Bank im Café gelegt. Es waren bestimmt fünfzig Blätter, offizielle Papiere und ein zusammengebundenes Bündel Umschläge, alle im selben Format. Ich vermute, dass es die Briefe deiner Mutter waren, die nie durch die Kontrolle des Gefängnisses gekommen sind. Er durfte damals nur Post von seinen Eltern empfangen, alle anderen Briefe wurden zurückgehalten. Es waren auch persönliche Gegenstände dabei, die er nicht ausgehändigt bekommen hatte, als er ’49 freikam. Fotos, Abzeichen, Stammbuch, Militärausweis.«
    »Wie war seine Stimmung?«
    »Victor, er war frei! Versuch dir das mal vorzustellen. Ich habe ihn zum ersten Mal betrunken nach Hause gebracht und zum ersten Mal nach Mitternacht. Es war ein sehr heftiger Tag. Ich erinnere mich, dass er, als er den Umschlag bekam und sah, dass er vom Justizministerium kam, dem Postboten mehr Trinkgeld gegeben hat, als der Mann in einem Monat verdiente.«
    »Weißt du noch, wie meine Mutter damals reagierte?«
    »Nun, ich war am nächsten Tag abends bei deinen Eltern zu Hause eingeladen. Eine Seltenheit, muss ich sagen. Das passierte nur bei einer Geburt oder um das Ende eines guten Geschäftsjahres zu feiern. Und ich erinnere mich, dass er den offiziellen Brief eingerahmt hatte. Martha kannte den Inhalt zwar, hatte ihn aber noch nicht gelesen. Nachdem sie das Dokument durchgesehen hatte, war ihre einzige Bemerkung, dass sie ihn doch wohl ohne Kommafehler in der offiziellen Erklärung hätten freilassen können. Ich meine, herzlich und wirklich begeistert war sie nicht. Und dass Albert in diesem Moment keine schlaflosen Nächte wegen des Kommafehlers eines Beamten hatte, leuchtete mir ein.«
    »Und danach?«
    »Danach? Danach änderte sich alles. Albert war entspannt und er nahm sich tatsächlich jeden Mittwochmittag frei. Er kaufte sportliche Kleidung, ein neues Auto. Alles, was er sich bis dahin versagt hatte, war von einem auf den anderen Tag möglich und er wurde der beste Chef, den ein Angestellter wie ich sich vorstellen konnte. Alle Last war von ihm gefallen. Er hatte bezahlt und abgerechnet. Obwohl …«
    Walter dachte nach.
    »Obwohl?«
    »Jetzt, wenn ich daran denke … Ich weiß nicht, ob das für deine Suche wichtig ist, aber eine Woche nach seiner offiziellen Freilassung und unserer Sauftour war eines der zu unterschreibenden

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