Schweigende Mauern: Historischer Kriminalroman aus Trier (German Edition)
und das Gerichtsverfahren würde einigen Staub aufwirbeln.
Schließlich stand Nikolaus auf. »Wir sollten sofort aufbrechen. Bevor noch jemand mitbekommt, dass Ihr längst mit mir gesprochen habt.«
Schnell warf man noch ein paar Münzen auf den Tisch und eilte dann hinaus. Die drei wandten sich nach rechts, um St. Gangolf herum und dann durch den kleinen Durchgang auf den Marktplatz. Es war früher Nachmittag, und der Marktplatz füllte sich gerade wieder mit geschäftigen Leuten, die Waren hin und her schleppten oder im Karren hinter sich herzogen. Überall gab es Grüppchen von sich unterhaltenden Menschen. Einige reiche Händler in wertvoller Kleidung mit samtenen Hüten sprachen über ihre Geschäfte, Mägde mit Körben voller Lebensmittel tuschelten über ihre Herrinnen, Tagelöhner standen gelangweilt herum, und viel anderes Völkchen war hier einträchtig versammelt. Nikolaus ging voran und kurvte geschickt durch die Leute, während die beiden anderen ihm, wie er glaubte, auf dem Fuß folgten.
Unvermittelt erscholl hinter ihm der Schrei einer Frau. Schnell drehte er sich um. Eine junge Magd stand dort, raufte sich die Haare und schrie wie am Spieß. Zu ihren Füßen lag Sebastian Vierland und starrte mit weit aufgerissenen Augen in die Luft. Seine Hände lagen auf einer Stelle knapp unterhalb der Rippen, wo das Blut langsam aus der Wunde sickerte und das helle Leinenhemd rot färbte. Nikolaus kniete sich sofort neben ihn und fühlte am Hals vergeblich nach dem Puls. Verstört stand er auf und schaute sich um. Er musste sehr laut sprechen, um die hysterische Magd zu übertönen. »Hat jemand was gesehen? Was ist passiert?«
Eine immer dichter werdende Menschenmenge sammelte sich um den Leichnam. Alle wollten gaffen und ihre Neugier befriedigen. Jeder wollte eine saftige Geschichte erzählen und damit vor den Freunden oder der Familie prahlen können. Die Leute waren wie Geier, die nur darauf warteten, sich auf ihr Opfer zu stürzen.
»Kann einer mal die Frau beruhigen?« Nikolaus verlor langsam die Geduld. Erst jetzt wurde die Magd, der der Ermordete vor die Füße gefallen war, von einer älteren Marktfrau zur Seite geführt.
»Hat jemand etwas gesehen?«
Niemand reagierte.
»Weiß jemand, wer der Täter ist?«
Statt einer Antwort bekam er dümmliche Blicke zugeworfen.
Plötzlich kam Bewegung in die Menge – jemand wühlte sich durch die Menschen. Einige beschimpften den Störenfried, dass er sich gefälligst hinten anstellen solle, wie alle anderen auch. Doch er ließ sich nicht beirren. Schließlich kam Adam Grimbach zum Vorschein. Er atmete schwer und hatte einen hochroten Kopf.
»Wo wart Ihr?«, rief Nikolaus ihm ärgerlich entgegen.
»Ich habe versucht, den Dreckskerl zu fangen, der das gemacht hat.«
»Ihr habt ihn gesehen?«
»Sebastian ging vor mir her. Mit einem Mal prallte er mit jemandem zusammen. Und dann fiel Sebastian auch schon zu Boden. Der Schweinehund gab Fersengeld, und ich bin hinter ihm her. Aber hinter dem Bogen zur Fleischstraße habe ich ihn verloren.«
»Konntet Ihr ihn erkennen?«
Grimbach schüttelte den Kopf. »Es ging so schnell, dass ich sein Gesicht nicht gesehen habe. Er sah mir noch recht jung aus. Aber das ist auch alles.«
Nun kamen auch Wachen der Stadt und fragten, was hier passiert war. Nikolaus erklärte die Lage der Dinge, verschwieg aber wohlweislich, wohin er mit Vierland hatte gehen wollen und besonders warum. Dann ging er rasch zu der Magd, die sich inzwischen ein wenig beruhigt hatte. Aber sie hatte noch weniger gesehen als Grimbach, sie war lediglich über den zu Boden fallenden Sebastian gestolpert.
Also musste Sebastian Auskunft geben. Nikolaus untersuchte deshalb den Leichnam. Es interessierte ihn im Moment nicht, dass alle Leute ringsherum ihn beobachten konnten. Er öffnete das Hemd und wischte das heraussickernde Blut fort. Die Wunde lag unterhalb des linken Rippenbogens und war auffällig klein. Dies war kein üblicher Dolch gewesen, der einen breiteren Schnitt verursacht hätte. Es war ein trapezförmiger Stich von knapp zwei Zoll 23 mal einen halben Zoll. Die Waffe musste recht lang gewesen sein, mehr als eine Spanne 24 . Nikolaus nahm einen Strohhalm, der am Boden lag, und steckte ihn vorsichtig in die Wunde. Der Wundkanal war aufwärts und zur Mitte gerichtet – genau ins Herz. Deswegen war so viel Blut herausgesickert. Entweder hatte der Angreifer vor Sebastian gestanden und mit der rechten Hand zugestochen oder er war von der Seite
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