Schweigende Mauern: Historischer Kriminalroman aus Trier (German Edition)
beziehungsweise von hinten gekommen und hatte mit links zugestochen. Bei einem frontalen Angriff hätte der Mörder aber leichter erkannt werden können. Adam Grimbach, der genau hinter Sebastian ging, hätte ihn sehen müssen. Nikolaus schaute noch einmal genauer hin. Auffällig waren zwei Rötungen zu beiden Seiten der Wunde – jeweils eine halbe Spanne entfernt, so als hätten die Enden einer Parierstange 25 Male hinterlassen.
Er stand wieder auf und winkte den Wachen, die schon auf das Ende der Untersuchung warteten. Schnell hatte man den Leichnam auf eine Trage gelegt, um ihn ins elterliche Haus zu bringen. Grimbach begleitete den Zug. Danach verzog sich die Menschenansammlung so schnell, wie sie sich gebildet hatte. Die Leute gingen wieder ihrer Beschäftigung nach, als wenn nichts gewesen wäre. Nikolaus schaute sich um. Der Ort für den Mord war ideal gewesen. Es geschah in aller Öffentlichkeit, aber trotzdem völlig anonym. Die vielen Menschen hier auf dem Platz waren so in ihre Angelegenheiten vertieft gewesen, dass sie dabei so gut wie gar nicht auf die Leute um sie herum geachtet hatten.
Was hatte Sebastian Vierland ihm berichten wollen? Wer waren seine Kumpane gewesen? Welche weiteren Verbrechen hätten noch durch sein Geständnis aufgeklärt werden können? Aber immerhin blieb noch der Gefangene von heute Morgen. Hoffentlich sang der so schnell wie möglich, bevor noch andere Personen dran glauben mussten.
Für Nikolaus war nun klar, dass die Angst des jungen Mannes berechtigt gewesen war. Seine Bande hatte keinerlei Skrupel, einen vermeintlichen Verräter kaltblütig zu beseitigen. Ging der Tod von Herrmann Albrecht auch auf ihr Konto? War er ihren Geschäften auf die Spur gekommen, sodass sie ihn beseitigen mussten? Hatten ihm diese Burschen im Bretterverschlag oben im Turm der Marktkirche aufgelauert?
Nikolaus verspürte nach dieser Aufregung das Bedürfnis, ein wenig zur Ruhe kommen. Der Garten des Dominikanerklosters erschien ihm als der ideale Ort zum Entspannen. Die Wege zwischen den Blumenbeeten und die Schatten der Bäume luden immer wieder gerne zum Verweilen ein. Er hoffte außerdem auf eine zündende Idee, wie er weiter vorgehen sollte, um Klarheit in diese verzwickte Situation zu bekommen.
Konstantins Freundin
Der Tag neigte sich dem Ende, als Nikolaus das Dominikanerkloster wieder verließ. Nach einem kurzen Spaziergang in dem herrlichen Garten hatte er sich in die kleine, aber feine Bibliothek gesetzt und in einigen Handschriften geblättert und gelesen. Die Erschaffer dieser Bücher waren wirkliche Künstler gewesen – die gleichmäßige Schrift, die reich verzierten Initialen und die zahlreichen kleineren oder auch ganzseitigen Abbildungen waren ein Genuss. Zum Glück hatte man den Schreibern und Illustratoren genug Zeit gegeben, damit sie ihre Arbeit so gut wie möglich machen konnten. Heutzutage wirkten die Leute immer gehetzter, es musste alles immer schneller gehen, man hatte immer weniger Zeit, alles erschien oberflächlicher. Schade.
Wäre der Mord an Sebastian Vierland zu verhindern gewesen? Möglicherweise. Hätte Nikolaus nicht auf seinem Mittagessen bestanden, und wären die drei gleich losgegangen, hätte der Nachmittag vielleicht nicht so blutig geendet. Der oder die Mörder mussten sie im Wirtshaus beobachtet haben und aus den angstvollen Blicken von Sebastian und Nikolaus’ Anwesenheit geschlossen haben, dass die Bande verraten werden sollte.
Nikolaus nahm sich vor, morgen beim Dompropst nachzufragen, ob der Gefangene schon geplaudert hatte. Vielleicht konnte man auf diesem Weg der Schläger und ihrer Hintermänner habhaft werden. Diese Pestbeule Triers musste so schnell wie möglich entfernt werden. Für heute nahm er sich nur noch vor, mit Konstantins Freundin zu sprechen, in der Hoffnung, dass sie etwas Licht in die Heimlichtuerei um Helenas Hochzeit und die Unterstützung Herrmann Albrechts bringen konnte. Welchen Nutzen hatte Theodor Junk durch diese Verbindung gehabt?
Nikolaus ging also in die Brückenstraße und suchte nach dem Wirtshaus, wo Elise arbeiten sollte. Die Straße war die Verlängerung der Fleischstraße und führte – wie der Name vermuten ließ – geradewegs zur alten, steinernen Brücke über die Mosel. Hier gab es ein halbes Dutzend Schänken. Die meisten sahen alles andere als einladend aus – jedenfalls für den jungen Juristen. Der Hauptteil der Gäste bestand aus Tagelöhnern und Schiffern, die hier ihren kärglichen Lohn für
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