Schweigende Mauern: Historischer Kriminalroman aus Trier (German Edition)
dem Spaziergang über den Markt und der kleinen Mahlzeit aus Brot, Käse und etwas frischer Milch hatte sich Nikolaus wieder in seine Arbeit vergraben. Er war vollkommen in seinem Universum aus vergilbten Papieren, schweren Folianten und den nach den Ausdünstungen vergangener Zeiten riechenden Pergamenten versunken. Er durchforstete Unterlagen aus den Jahren ab 1368. Für eine gewisse Zeit war der vorletzte Erzbischof von Trier – Kuno von Falkenstein 12 – der Administrator des Erzbistums Köln gewesen. So konnte er es einrichten, dass sein Neffe Friedrich von Saarwerden 13 Erzbischof in Köln wurde. Hier gab es einige interessante Vereinbarungen, auf die man sich noch beziehen könnte. Aus Dankbarkeit gegenüber seinem Onkel hatte der neue Kurfürst nämlich ein paar Zugeständnisse niederschreiben lassen, die offensichtlich bislang nicht alle eingelöst waren. Das musste weiter untersucht werden, denn daraus ließ sich noch Profit schlagen.
Wie aus weiter Entfernung hörte Nikolaus seinen Namen. Erst nach und nach wurde ihm bewusst, dass jemand nach ihm rief. Wer wollte etwas von ihm? Der Kurfürst hatte doch bestimmt, dass er in Ruhe das Archiv durchsuchen durfte. Gerade jetzt wollte er sich nicht stören lassen, schließlich war er mitten in seinen Nachforschungen.
»Na, dem werde ich die Leviten lesen! So unverschämt kann doch nur ein Novize sein. Das wagt der nie wieder!« Ärgerlich stand Nikolaus auf und stapfte zwischen den Regalreihen entlang. Er legte sich schon die passenden Formulierungen parat, um dem impertinenten Kerl so richtig den Kopf zu waschen. Neben der Tür stand der Ruhestörer und drehte dem Gelehrten den Rücken zu. Der Besucher war von etwas zu kurz geratener Gestalt. Nur die grauen Haare zeigten an, dass es kein junger Mann, sondern ein Erwachsener war.
Nikolaus reckte sich noch einen Zoll höher und knurrte: »Was erlaubt Ihr Euch?« Die nächsten Worte blieben ihm im Halse stecken. Derjenige, der sich nun überrascht umdrehte, war kein Geringerer als der Dompropst Simeon von Meuren, der Vertreter des Erzbischofs. Mit dem sollte es sich Nikolaus lieber nicht verscherzen, denn er war alles andere als ein angenehmer Herr. Der Geistliche war ausgesprochen ehrgeizig und sehr eitel, schmeichelte, wenn es seinen persönlichen Zielen diente, und war ein Intrigant, falls ihm jemand gefährlich wurde. Doch der Kurfürst hielt weiterhin an ihm fest, da Meuren seine Position und seine Macht hier in Trier durchzusetzen wusste. Und das sicherte wiederum die Stellung des Erzbischofs, der sich mehr in Koblenz aufhielt als hier.
Die Augen des Dompropstes blitzten gefährlich zu dem fast einen halben Kopf größeren Juristen hoch. »Was erlaubt
Ihr
Euch?«
Demütig verneigte sich Nikolaus und entschuldigte sich kleinlaut damit, nicht gewusst zu haben, dass es der ehrwürdige Dompropst war, der ihn sprechen wollte. Er habe gedacht, ein übereifriger Novize hätte ihn gestört.
Von Meuren murmelte etwas Unverständliches vor sich hin und akzeptierte die Entschuldigung überraschend schnell. Nikolaus hatte eher mit einer Strafpredigt und endlosen Bußen gerechnet. Aber nichts dergleichen passierte. Stattdessen kam die Frage: »Ihr wart doch heute Mittag bei St. Gangolf, als der Meister Albrecht so tragisch ums Leben kam?«
»Äh, ja. War Euer Gnaden auch dort?«
»Ach was! Ich habe von Euch durch Ulrich Trips, dem dortigen Priester, gehört.«
Nikolaus nickte nur. Er hatte keine Ahnung, was nun kommen sollte.
»Was war’s?«
»Wie meint Ihr das? Was soll was gewesen sein?«
»Stellt Euch nicht so dümmlich an!«, knurrte Meuren. »Ich meine natürlich: Wie ist der Albrecht umgekommen? War’s ein Unfall oder ein Mord?«
Der junge Gelehrte verstand endlich. »Ich bin mir nicht sicher, aber ...«
»Aber was?«
Nikolaus kratzte sich verlegen am Kopf. »Weder noch.«
Der Dompropst hob drohend seinen Zeigefinger. »Strapaziert meine Geduld nicht noch mehr. Bald habt Ihr alle Vorschusslorbeeren unseres ehrwürdigen Erzbischofs Otto bei mir verspielt!«
»Ich denke eher, es war Selbstmord.«
»Was?« Von Meuren rang die Hände. »Wie könnt Ihr es wagen, einen verdienten Zunftmeister auf so infame Weise einer schweren Sünde zu beschuldigen?«
»Weil es allem Anschein nach danach aussieht. Die Umstände deuten eher auf Selbstmord hin.«
»Blödsinn! Wie wollt Ihr das wissen? Wart Ihr dabei, als Albrecht abstürzte?«
»Nein.«
»Also. Was redet Ihr dann so einfältig daher? Selbst die
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