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Schweigenetz

Titel: Schweigenetz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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war er es einmal, aber das ist vorbei. Genaugenommen existiert er nicht einmal mehr. Er starb vor vielen Jahren, ähnlich wie Ihre Freundin Sandra. Die Staatssicherheit löschte sie aus, um sie mit neuen Identitäten für ihre Zwecke einzusetzen. Fenn, Sandra und der Rest von diesem erbärmlichen Haufen sind Geschöpfe des Ministeriums. Und das wiederum war einer der größten Unterdrückungsapparate, die es je in diesem Land gegeben hat.«
    »Worauf wollen Sie hinaus?«
    »Können Sie sich das nicht vorstellen? Fenn und wer immer es noch war, mit dem Sie gesprochen haben, sind Relikte des DDR-Regimes. Feinde der Demokratie. Meine Feinde. Ihre Feinde, Herr Worthmann!«
    »Sie wissen, dass es darum gar nicht geht.«
    »So?«, fragte Michaelis erstaunt. »Um was geht es dann? Um etwas, dass Fenn Ihnen erzählt hat? Um das Netz und was es wirklich ist? Vielleicht haben Sie recht. Vielleicht geht es auch darum. Aber überlegen Sie genau, wo Sie stehen. Nicht, weil Sie eine Wahl hätten, sondern weil Sie bereits Ihr ganzes Leben auf dieser einen Seite gestanden haben. Auf der Seite der Demokratie, auf der Seite unseres Grundgesetzes. Das sind wir, Herr Worthmann! Sie sind in einem demokratischen Staat geboren worden, Sie haben ihn für sich akzeptiert. Schütteln Sie nicht den Kopf! Das, was ich Ihnen sage, ist mehr als pure Theorie.« Er holte tief Luft und fuhr fort: »Fenn und seine Bande sind Überbleibsel eines politischen und menschlichen Fiaskos. Die DDR ist untergegangen, zu Recht, aber diese Leute haben das nicht begriffen. Sie machen weiter wie bisher, sie bekämpfen uns.«
    Die Worte schwirrten in dem kleinen Raum wie Insekten. Sie stachen, sie verwirrten ihn. Auf ihre Weise schienen sie einleuchtend und sinnvoll.
    Genau wie das, was Fenn gesagt hatte.
    »Was ist mit den Morden?«, fragte er.
    Michaelis schüttelte den Kopf, nachsichtig wie ein verständnisvoller Schullehrer. »Seien Sie nicht naiv, Herr Worthmann. Sie sind nicht dumm. Sie wissen, dass die Geschäfte eines Landes nicht allein durch blumige Reden und das Singen der Nationalhymne geregelt werden. Es geschehen eine Menge Dinge, die nie an die Öffentlichkeit gelangen. Fenn hat uns herausgefordert, dagegen müssen wir uns wehren. Es stimmt, wir haben einige seiner Leute beseitigt, und das Gleiche werden wir mit ihm tun, wenn wir ihn in die Finger bekommen. Aber er hat es nicht anders gewollt. Diese Morde, wie Sie es nennen, sind gerechtfertigt. Wir leben in einer Zeit, in der die Bibel nicht mehr gilt; und manchmal kommt es zu Situationen, in denen es keine andere Möglichkeit gibt, als Gegner zu liquidieren. Keiner hätte sich beschwert, wenn die Amerikaner Saddam Hussein beseitigt hätten. Oder Gaddafi. Oder fünfzig Jahre zuvor Hitler. Menschen wie dieser Fenn sind gefährlich, deshalb muss man sie bekämpfen und entfernen.«
    Carstens Kopf dröhnte vom Widerhall der Sätze in den Kellergewölben. »Was hat das alles mit mir und Nina zu tun?«
    Michaelis nickte, als fühlte er, dass seine Worte auf fruchtbaren Boden fielen. Die Saat ging auf. »Ich will Sie nicht zu irgendetwas zwingen, ich will Sie überzeugen. Sehen Sie endlich ein, dass wir das Richtige tun. Das Netz war immer eine umstrittene Organisation, und hier wie überall wurden Fehler gemacht. Aber es gibt Bereiche, in denen der BND nicht mehr operieren kann. Dort beginnt unsere Aufgabe. Und unsere Existenzberechtigung.«
    Carsten schüttelte den Kopf. »Sie haben Sebastian ermordet.«
    »Wir?« Michaelis' Stimme überschlug sich fast. »Hat Fenn Ihnen das erzählt?«
    Carsten überlegte und kam zu dem Schluss, dass Sebastian nie ein Thema zwischen ihm und Fenn gewesen war.
    »Wir haben mit Sebastians Tod nichts zu tun«, sagte Michaelis fest. »Wenn Sie mir in einem Punkt vertrauen wollen, dann in diesem: Der Mord an Sebastian Korall geht nicht auf unser Konto.«
    Carsten glaubte ihm nicht, fragte aber trotzdem: »Wollen Sie damit sagen, es war Fenn?«
    »Das ist anzunehmen.«
    »Bin ich jetzt an der Reihe, die Fragen zu stellen?«
    Michaelis nickte zustimmend. »Fragen Sie.«
    »Warum erzählen Sie mir das alles? Was wollen Sie von mir?«
    Einige Sekunden lang herrschte Schweigen. Die beiden Männer im Eingang rührten sich nicht. Carsten spürte ihre drohende Präsenz in seinem Rücken wie Gewichte, die ihn nach vorne drückten.
    Schließlich sagte Michaelis: »Ich möchte, dass Sie für uns vermitteln. Es wird ein Treffen zwischen Fenn und uns geben. Wahrscheinlich hat er Ihnen

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