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Schweigenetz

Titel: Schweigenetz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Bescheid?«
    »Sicher. In diesem Moment werden die letzten Vorbereitungen getroffen. Mach dir keine Gedanken, was unseren Teil der Vereinbarung angeht.«
    »Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann.«
    »Hattest du je Grund daran zu zweifeln?«
    Fenn verneinte.
    »Seit wann kennt Nawatzki den Treffpunkt?«, fragte der Abt.
    »Die Botschaft müsste ihn heute Morgen erreicht haben.«
    »Lässt ihm das nicht zu viel Zeit?«
    Fenn hob die Schultern. »Auf alles andere hätte er sich nicht eingelassen. Er wird versuchen, in der Zeit, die ihm bleibt, alles über euch und das Kloster herauszufinden. Er hat die Mittel dazu.«
    »Wird ihm das gelingen? Alles herauszufinden?«
    »Es gibt keine Akten darüber. Das Ministerium hat seine Verbündeten stets zu schützen gewusst.«
    »Das ist Unsinn, du weißt das. Wir haben jahrelang eure Leute aufgenommen und beherbergt. Dutzende, die verschwinden mussten, sind bei uns untergetaucht. Irgendwo ist all das dokumentiert.«
    Fenn seufzte. »Sollte es Unterlagen über die Verbindungen des Klosters zu den Geheimdiensten geben, so liegen sie irgendwo unter Tonnen von alten Akten begraben. Nawatzkis Leute haben keine Chance, sie in so kurzer Zeit zu finden. Es müsste schon ein Wunder geschehen.«
    »Es ist meine Berufung, an Wunder zu glauben.«
    »Ihr könntet für uns beten.«
    »Du könntest dich zur Abwechslung daran beteiligen.«
    Fenn lächelte flüchtig. »Vielleicht später. Lass uns diese Sache erst zu Ende bringen.«
    Jacobus sah ihn eine Weile lang mit einem rätselhaften Blick an, dann erwiderte er plötzlich das Lächeln. »Wohl denn, lass uns aufbrechen. Mein Fahrer bringt uns zum Kloster.« Er wandte sich um und machte einen Schritt in Richtung Tür.
    »Jacobus?«
    »Ja?«
    Fenn grinste. »Man sagt nicht mehr Wohl denn. Es ist hoffnungslos veraltet.«
    Jacobus zögerte. »Sind wir das nicht alle, mein Freund?«, fragte er. »Du und ich – hoffnungslos veraltet.«
    Fenn lachte. »Ist das dein Ernst?«
    Der Abt gab keine Antwort.
    Das Flugzeug schob sich durch dunkle Wolkenformationen. Graue Nebelwände standen wie gemauert vor den Fenstern und schienen das Innere noch stärker von der Außenwelt abzuschotten. Carstens Ängste vervielfachten sich. Das erstickende Gefühl, seinen Bewachern hilflos ausgeliefert zu sein, wuchs von Minute zu Minute. Er balancierte ganz nahe am Abgrund einer hemmungslosen Panik. Die Innenbeleuchtung der Maschine verstrahlte helles, eisiges Licht, während es draußen stetig dunkler wurde. Er stellte sich vor, wie sie mit glühenden Fenstern durch die gewittrige Finsternis glitten, ein Raubvogel mit funkelnden Augen im Anflug auf die Beute.
    Zum tausendsten Mal fragte er sich, ob Michaelis die Wahrheit gesagt hatte. Hatte Nina ihn wirklich ans Schweigenetz verraten? Es interessierte ihn nicht, ob Michaelis seinen Standpunkt für gerechtfertigt hielt, und es war ihm gleichgültig, was Fenn und seine Leute von Demokratie hielten. Wenn dieser ganze Konflikt einen politischen Hintergrund hatte, so ging er ihn nichts an. Ihn beschäftigte allein die Frage, welche Rolle ihm selbst im weiteren Verlauf dieser Schachpartie zugedacht war – denn mehr und mehr kam ihm das Ganze wie eine Schachpartie vor.
    Die Könige waren Fenn und Nawatzki. Und die Königinnen? Sandra auf der einen, Nina auf der anderen Seite? Von beiden wusste er nicht, ob sie noch lebten, und falls ja, wo sie wirklich standen. Gehörte Sandra tatsächlich zu Fenns Gruppe – vorausgesetzt sie war nicht bereits 1985 bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen? Und war Nina nicht ebenso ahnungslos wie er selbst zwischen die Fronten gestolpert?
    In einem hatte Michaelis recht gehabt: Nina war wirklich die Erste gewesen, die ihn davon überzeugt hatte, nicht zur Polizei zu gehen. Aber musste das etwas bedeuten? Damals hatten ihre Argumente sinnvoll geklungen. Sie taten es auch heute noch.
    Zu viele Fragen, auf die er keine Antworten wusste.
    Außer jenen, die Michaelis ihm servierte.
    Seine beiden Bewacher lasen Zeitung. Gelegentlich warfen sie ihm einen Blick zu, um sich dann weiter ihrer Lektüre zu widmen.
    Plötzlich stand der eine auf. »Kaffee?«, fragte er.
    Carsten schüttelte den Kopf.
    Der Mann zuckte mit den Schultern, ging zur Zwischentür und öffnete sie. Für einen kurzen Moment konnte Carsten einen Blick in den vorderen Teil des Passagierraums erhaschen. Er sah zwei Männer, die schweigend in ihren Sitzen saßen. Erst als die Tür wieder geschlossen war, wurde

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