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Schweigenetz

Titel: Schweigenetz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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umherfahren lässt?«
    »Nun, die wenigsten wissen davon. Ein Großteil meiner Brüder verbringt die meiste Zeit im Kloster. Nur einige Helfer in der Bibliothek und natürlich mein Freund dort vorne, der Fahrer, kennen den Wagen. Ich habe von euch gelernt, wie man Dinge geheim hält.«
    Sie hatten die Außenbezirke Prags verlassen und fuhren auf einer Landstraße nach Süden. Rechts und links von ihnen wechselten dichte Wälder sich mit sanft ansteigenden Weinbergen ab. Nur ein einziges Mal durchquerten sie ein Dorf. Hier und da klebte ein einsamer Hof an den Hängen. Nach einer Weile verschwanden die Wälder, und auch die Weinstöcke blieben hinter ihnen zurück. Die Straße schlängelte sich eine Hochebene hinauf, auf der sich saftige Wiesen über eine weite Hügellandschaft ausbreiteten. Nur vereinzelt standen hier Bäume. Nirgendwo war ein Zeichen menschlicher Besiedlung zu sehen.
    Nach weiteren fünf Minuten kamen sie an Pferdekoppeln vorbei, und dann, endlich, erreichten sie das Kloster der Drei Kirchen. Es lag in einem Tal zwischen zwei Hügeln, auf denen sich das hohe Gras raschelnd im Wind bog. Früher einmal hatten auf den Hügelkämmen Wachtürme gestanden, die die Mönche über die Jahrhunderte hinweg vor feindlichen Eindringlingen gewarnt hatten. Heute gab es diese Türme nicht mehr.
    Das Kloster selbst war ein verschachtelter Komplex aus unzähligen Bauten. Schon aus der Ferne erkannte Fenn die Glockentürme der drei Kirchen, denen die Abtei ihren Namen verdankte.
    Weit versprengt über die umliegenden Wiesen befanden sich Dutzende Pferde. Einige galoppierten verspielt über die Hügel, andere grasten friedlich in der Sonne. Fenn versetzte dieser Anblick einen Stich. Er brachte den Krieg in diese Idylle.
    Die Limousine fuhr durch einen Torbogen auf den Hof des Klosters und hielt vor dem Eingang des Hauptgebäudes. Fenn strich seine losen Haarsträhnen zusammen und stopfte sie in das Gummi seines Pferdeschwanzes. Er stieg aus dem Wagen und folgte Jacobus ins Haus. Immer wieder begegneten sie Mönchen, einzeln oder in kleinen Gruppen, die ihren Abt und seinen Gast ehrerbietig grüßten. Durch ein Gewirr von Korridoren und Treppen gelangten sie in einen Seitenflügel des Klosters. Hier hatte Jacobus seine privaten Räume.
    In einem großen Raum, vollgestopft mit alten Möbeln und Malereien, kam ihnen jemand entgegen.
    »Fenn!« Eine junge Frau sprang auf Fenn zu und umarmte ihn.
    »Maria«, sagte er sanft und lächelte. Er drückte sie kurz an sich und löste sich dann von ihr. Sie war groß und schlank und hatte ein schmales Gesicht, das ein wenig zu knochig war, um hübsch zu sein. Ihr dunkles Haar war kurzgeschnitten.
    Hinter ihr erwarteten ihn drei Männer. Er schüttelte allen die Hand und begrüßte sie herzlich. Sie hatten sich zuletzt erst vor wenigen Tagen gesehen, aber die Erleichterung, alle gesund und unverletzt hier wiederzutreffen, ließ ihn aufatmen.
    »Irgendwelche Nachrichten von den anderen?«, fragte er den Ältesten der drei, einen blonden Mann Ende vierzig. Er hatte das Versteck als Letzter verlassen.
    Der Angesprochene schüttelte den Kopf. »Sie wollen Worthmann heute Nachmittag in Tiefental abholen. Ich hoffe, es gibt keine Probleme.«
    Fenn nickte. »Gut. Wir sollten keine Zeit verlieren.«
    Er wandte sich an den Abt, der während der Begrüßung am Eingang zurückgeblieben war. »Jacobus, ich glaube, du solltest dabei sein. Was wir zu besprechen haben, geht dich ebenso an wie alle anderen.« Der Abt nickte und trat ein.
    Nach der Landung schleusten seine beiden Bewacher ihn aus dem Flughafen und setzten ihn in einen Wagen. Der eine Mann kletterte zu ihm auf die Rückbank, der andere nahm Platz auf dem Beifahrersitz. Der Fahrer sprach kein Wort. Carsten nahm an, dass er Tscheche war.
    »Wo bringen Sie mich hin?«, fragte Carsten.
    »Warten Sie's ab«, erwiderte der Mann neben ihm, ohne ihn anzusehen.
    »Kommen Michaelis und die anderen nicht mit?«
    »Stellen Sie Ihre Fragen später. Wir sind nicht befugt, sie zu beantworten.«
    Carsten beließ es dabei. Er starrte hinaus auf die Straße, aber sein Gehirn verarbeitete nur wenig von dem, was er sah. Er dachte an Nina. Die Akten, die Michaelis ihm gezeigt hatte, mochten Fälschungen sein, doch irgendetwas trieb ihn dazu, den Vorwürfen Glauben zu schenken. Vielleicht hatte sie wirklich für die Stasi gespitzelt. Viele hatten das getan, aus den unterschiedlichsten Gründen. Manche aus Überzeugung, andere, um sich Vorteile zu

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