Schweigenetz
ihm klar, dass er Nawatzki und von Heiden gesehen hatte. Ihre Gesichter flimmerten wie das Nachglühen einer grellen Lichtquelle hinter seinen geschlossenen Augenlidern.
Der Mann kam zurück und balancierte zwei Kaffeetassen in den Händen. Er setzte sich neben seinen Partner und reichte ihm eine Tasse.
Carsten sah wieder aus dem Fenster. Nach wenigen Zentimetern wurde sein Blick von der Wolkenwand verschluckt. Er versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen, nachzudenken, wie er lebend aus dieser ganzen Geschichte herauskommen könnte. Er konnte nur abwarten. Vielleicht würde sich nach der Landung eine Möglichkeit bieten, seinen Bewachern zu entkommen. Aber er zweifelte daran.
Weitere Minuten vergingen, ehe plötzlich die Zwischentür aufging und Michaelis eintrat. Er lächelte aufmunternd und setzte sich neben Carsten.
»Ich vermisse die Instruktionen für den Notfall«, sagte Carsten finster. »Kommen Sie deshalb? Ich sehe keine Schwimmweste.«
»Es freut mich, dass Sie Ihren Humor nicht verloren haben, Herr Worthmann. Ich möchte, dass Sie sich bei uns wohl fühlen.«
»Das habe ich schon mal von Ihnen gehört, erinnern Sie sich? Das war, kurz bevor Sie mich noch tiefer in diesen ganzen Schlamassel hineingezogen haben.«
»Seien Sie nicht nachtragend«, erwiderte Michaelis. »Ich habe Ihnen meine Gründe geschildert.«
Carsten lächelte bitter. »Ja, sicher.«
»Wir werden in einer knappen halben Stunde landen. Ich dachte mir, Sie möchten vielleicht wissen, wie es anschließend weitergeht.«
»Einchecken, Stadtrundfahrt, der Rest des Tages zur freien Verfügung.«
Michaelis zeigte keine Reaktion. »Wir werden Sie an einen Ort bringen, an dem Sie Nina wiedersehen. Das Treffen mit Fenn findet morgen Abend statt. In einem alten Kloster außerhalb Prags.«
»In einem Kloster?«
»Ja. Fenn hat den Treffpunkt bestimmt. Wir befürchten, dass er versuchen wird, uns eine Falle zu stellen. Das Kloster wird seit heute Morgen von unseren Leuten beobachtet. Falls er auf die Idee kommen sollte, eine größere Anzahl Bewaffneter dort einzuschleusen, werden wir es bemerken.«
»Wenn er es nicht schon früher getan hat.«
»Natürlich. Aber, ehrlich gesagt, glaube ich nicht daran. Seine Gruppe ist auf ein mageres halbes Dutzend zusammengeschrumpft. Uns liegen keinerlei Hinweise vor, dass er versucht hat, weitere Männer anzuwerben. Nein, sollte er etwas versuchen, wird es von diesem kleinen Haufen ausgehen. Und, egal was es ist, wir werden damit fertig.«
»Nawatzki und von Heiden werden mit dabei sein?«
Michaelis nickte. »Sicher. Nur sie haben die nötige Autorität, um die Verhandlungen zu führen.«
»Ist das nicht gefährlich?«
»Nicht im Geringsten. Glauben Sie mir, wir sind gegen alles gerüstet.«
»Und welche Rolle soll ich dabei spielen? Vermittler ist eine sehr vage Bezeichnung.«
»Das stimmt«, erwiderte Michaelis. »Lockvogel wäre wahrscheinlich treffender. Aber seien Sie nicht beleidigt. Sie werden Ihren Auftritt bekommen.«
»Ich kann's kaum erwarten.«
»Sie sind ein Zyniker, mein Freund. Morgen, vor dem Treffen, werden Sie alles Nötige erfahren. Bis dahin sollten Sie Ihre Zeit mit Nina genießen.«
»Weil Sie uns danach umbringen?«
»Wir sind keine Barbaren. Ich dachte, zumindest so viel hätten Sie mittlerweile begriffen.«
Eine Weile lang sahen sie sich schweigend an. Keiner verzog eine Miene. Dann stand Michaelis auf und verschwand im vorderen Teil der Maschine. Carsten starrte ihm noch hinterher, als die Tür längst geschlossen war.
Falls sie ihn wirklich zu Nina brachten, was würde er ihr sagen?
Und, wichtiger noch, was würde sie ihm zu sagen haben?
Fenn und Jacobus teilten sich die Rückbank einer russischen Limousine. Eine Glasscheibe trennte sie vom Fahrer. Fenn vermutete, dass bis zum Ende des Kalten Krieges nur Staatsmänner in diesem Fahrzeug kutschiert worden waren.
»Woher stammt der Wagen?«, fragte er.
Der Abt grinste. »Soweit ich weiß aus Rumänien. Ich habe ihn billig auf dem Schwarzmarkt erstanden. Der Kerl, der ihn mir verkaufte, wollte nicht sagen, wie er daran gekommen ist. Ich konnte trotzdem nicht widerstehen.«
Fenn schüttelte tadelnd den Kopf. »Erst Pferderennen, jetzt der Schwarzmarkt. Du bist ein feiner Mönch, Jacobus.«
Der Geistliche lächelte milde. »Ein wenig Luxus wird den Herrn nicht gegen mich aufbringen. Ich bin noch immer sein getreuer Diener.«
»Was sagen die anderen Mönche dazu, dass sich ihr Abt in einer solchen Karosse
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