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Schweigenetz

Titel: Schweigenetz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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bereits davon erzählt. Ich möchte, dass Sie mich heute noch nach Prag begleiten.«
    »Warum gerade ich?«
    »Sie kennen beide Seiten. Es wäre dumm, noch eine weitere Person einzuweihen, wenn wir in Ihnen bereits einen so perfekten Vermittler an der Hand haben.«
    »Sie verlangen von mir, dass ich Fenn und Sandra ans Messer liefere?«
    Michaelis schüttelte energisch den Kopf. »Es gibt immer noch Möglichkeiten, die Angelegenheit friedlich zu lösen. Wir wollen in erster Linie die Dokumente, die sich in Fenns Besitz befinden. Wir dürfen nicht zulassen, dass sie in die falschen Hände geraten. Sicher ist Ihnen bekannt, dass Gladio ein Zweig der Nato war. Was in diesen Unterlagen steht, geht an politischer Dimension weit über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus.«
    »Was ist mit Nina?«
    »Sie ist bereits auf dem Weg nach Prag. Freiwillig, wie ich betonen möchte.«
    Carsten starrte ihn an, voller Zweifel. »Wie meinen Sie das?«
    Michaelis hob eine Hand. »Ich möchte Ihnen etwas zeigen …«
    Er trat zurück und bückte sich über einen schmalen Aktenkoffer, der in einer Ecke des Raumes stand. Er zog einen dünnen Papierstapel daraus hervor, kam zurück und reichte ihn Carsten.
    »Was ist das?«, fragte er.
    Michaelis deutete auf den Stapel. »Blättern Sie ihn durch, und Sie werden eine Überraschung erleben. Dies sind Fotokopien einer Akte aus den Archiven der Staatssicherheit. Obendrauf steht Ninas Name.«
    Carsten schlug den schmalen Stapel an einer willkürlichen Stelle auf. Die Buchstaben verschwammen vor seinen Augen. »Ich verstehe nicht …«
    »Natürlich verstehen Sie«, unterbrach ihn Michaelis. »Nina war bis zur Wende inoffizielle Mitarbeiterin des Ministeriums für Staatssicherheit. Das hier sind ihre IM-Unterlagen, einschließlich aller Berichte, ihres Decknamens, ihres Werdeganges. Viel ist es freilich nicht. Sie war gerade zwanzig, als die Mauer fiel.«
    Carsten schlug die Akte angewidert zu. »Sie lügen!«, sagte er zornig. »Sie können mir viel erzählen.«
    Michaelis blieb ganz ruhig. »Es sind Fotokopien, aber keine Fälschungen. Wenn Sie sich in der Materie auskennen würden, würden Sie sehen, dass alle Stempel originalgetreu sind. Wir würden uns niemals diese Mühe machen, nur um Sie zu überzeugen. Dafür gäbe es simplere Wege.«
    »Selbst wenn Sie recht hätten«, sagte Carsten, »das alles ist über drei Jahre her. Es hat nichts mit den Ereignissen der letzten Woche zu tun.«
    »Sind Sie da ganz sicher?«, fragte Michaelis tückisch. »Einmal Spitzel, immer Spitzel. Denken Sie darüber nach.«
    »Wollen Sie damit sagen …«
    »Natürlich. Nina hat lediglich die Seiten gewechselt. Ansonsten ist für sie alles beim Alten geblieben. Sie hat während der ganzen Zeit für uns gearbeitet.«
    Carstens Stimme klang hoch und misstönend. Er war nicht sicher, ob es nur am Hall der leeren Gewölbe lag. »Ich glaube Ihnen kein Wort.«
    »Ganz wie Sie möchten.« Michaelis nahm ihm die Akte ab und rollte sie zusammen. »Aber Sie sollten sich trotzdem einige Fragen stellen. Wer hat Ihnen geraten, nicht zur Polizei zu gehen? Und wer ist jetzt bereits auf dem Weg nach Prag – aus freien Stücken?«
    Carsten schüttelte den Kopf. Eher aus Trotz als aus Überzeugung. »Das ist nicht wahr. Sie lügen!«
    »Die Entscheidung liegt bei Ihnen«, sagte Michaelis und seufzte. »Ich kann Sie nicht zwingen, mir zu glauben. Fragen Sie einfach Nina selbst. Sie erwartet Sie in Prag.«
    »Ich fahre nicht mit Ihnen dorthin.«
    Ein gutmütiges Lächeln erschien auf Michaelis' Zügen. »Ich glaube nicht, dass Sie eine andere Wahl haben. Erinnern Sie sich noch an unser erstes Gespräch? Ich versprach Ihnen damals das Abenteuer Ihres Lebens. Und glauben Sie mir, es hat gerade erst begonnen.«
    Er gab den Männern an der Tür ein Zeichen. Beide machten einen Schritt nach vorne und stellten sich neben Carsten. Keiner fasste ihn an.
    »An der Rückseite des Gebäudes wartet ein Wagen«, fuhr Michaelis fort. »Er wird uns zum Flughafen bringen. Ich habe gehofft, dass Sie einsichtig sein würden – ich hoffe es immer noch. Aber hier steht zu viel auf dem Spiel, als dass ich Rücksicht auf ihren lächerlichen Trotz nehmen könnte.«
    Er ging zur Tür, blieb jedoch kurz vor Carsten noch einmal stehen. »Und hören Sie endlich auf, den Helden zu spielen. Keiner von uns ist einer.«
    Carsten sah ihm nach, wie er in der Dunkelheit verschwand. Einer der beiden Männer nahm seine Taschenlampe, der andere löschte die

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