Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schweigenetz

Titel: Schweigenetz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
auszusprechen, aber Nina drückte seine Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen.
    Fenn berichtete in knappen Sätzen, wie er und sein Begleiter – er nannte ihn einfach nur Junior – dem Chaos entkommen waren. Nachdem sie hatten mitansehen müssen, wie ihre drei Freunde im Kugelhagel von Nawatzkis Sturmkommando starben, waren sie durch einen unterirdischen Fluchttunnel aus der Flammenhölle des Klosters geflohen. Mit ihnen war ein Großteil der Mönche entkommen. Fenn schätzte die Zahl der Toten allein auf ihrer Seite auf über ein Dutzend.
    Plötzlich sah er sich mit stechendem Blick zu Carsten um. »Vielleicht begreifen Sie jetzt, wie wichtig diese Dokumente sind.«
    »Weil Sie sich gegenseitig dafür umbringen?« Carstens Stimme troff vor Sarkasmus. »Ich bin beeindruckt.«
    Fenn sprang auf, kam mit zwei, drei blitzschnellen Schritten auf ihn zu und holte zu einem Schlag aus. Sandra ging dazwischen.
    »Halt!«, befahl sie.
    Fenn ließ die Faust sinken, doch nun war es Carsten, der hochsprang. »Stimmt es, was Michaelis gesagt hat?«
    »Was meinen Sie?«
    »Dass Sie es waren, der Sebastian getötet hat.«
    Für einen Augenblick brach Fenns Zorn in sich zusammen. Sein Gesicht schien zu zerfließen, Stress und Strapazen waren ihm deutlicher anzusehen als je zuvor.
    Er brauchte keine zwei Sekunden, um sich wieder zu fangen. »Unsinn«, sagte er mit fester Stimme.
    »Sie lügen«, sagte Nina leise. Sie klang sehr ruhig, sehr gefasst. Alle Köpfe ruckten in ihre Richtung. Bisher hatte sie dem Geschehen um sie herum kaum Beachtung geschenkt, doch jetzt blickte sie langsam auf. »Sie waren der Einzige, der einen Grund gehabt hätte, ihn zu töten. Nur für Sie war es wichtig, Sandras Spur zu verwischen und die Briefe verschwinden zu lassen. Nawatzki und Michaelis bemühten sich, Carsten förmlich mit der Nase darauf zu stoßen. Das Netz hatte keinen Vorteil durch Sebastians Tod. Den hatten nur Sie.«
    Carsten starrte erst sie, dann Sandra und schließlich Fenn an. Der Anführer der Gruppe stand wie versteinert da, einen Ausdruck völligen Erstaunens im Gesicht. Keiner der anderen rührte sich. Carsten erwartete, dass Fenn den Vorwurf leugnen, ihn weiterhin abstreiten würde. Dann sagte er leise: »Ja, Sie haben recht. Es war ein Unfall.«
    Carsten schrie auf, sprang nach vorne und warf sich auf ihn. Der Angriff traf Fenn völlig unerwartet. Carsten landete zwei Faustschläge in seinem Gesicht, ehe die Instinkte des Agenten die Kontrolle über sein Handeln übernahmen. Er packte Carstens rechten Arm, bog ihn beiseite und schlug ihm in die Magengrube. Carsten knickte zusammen, schnappte nach Luft – und trat noch im Fallen nach Fenns Knie. Mit einem überraschten Keuchen verlor sein Gegner das Gleichgewicht, kippte zur Seite und fiel mit der Nase auf Carstens angewinkeltes Bein. Als er seinen Kopf wieder hob, floss ihm Blut aus beiden Nasenlöchern. Das Haar hing in wirren Strähnen von seinem Gesicht, in seinen Augen glühte Mordlust.
    Das Knirschen eines gespannten Pistolenhahns fraß sich wie aus weiter Ferne in ihre Wahrnehmung. »Wer als Erster zuschlägt, bekommt eine Kugel ins Bein«, zischte Sandra. »Das gilt auch für dich, Fenn.«
    Sie blickten beide auf und starrten in die Mündung ihrer Waffe.
    »Hört mit diesem Wahnsinn auf«, sagte sie. Ihr Blick war düster und berechnend. »Wenn ihr euch gegenseitig umbringen wollt, tut das später. Wir müssen zusehen, dass wir aus diesem verfluchten Land herauskommen.«
    »Und dann?«, fragte Nina. Es klang gleichgültig.
    Fenn und Carsten rappelten sich auf. Ihre Blicke hingen kalt und abschätzend aneinander. Carsten wusste, dass Fenn ihn innerhalb weniger Sekunden mit bloßen Händen töten konnte, wenn er es darauf anlegte. Möglicherweise hatte Sandra ihm das Leben gerettet; sicherlich einige seiner Knochen.
    »Es gibt einen Ort, an dem wir eine Weile lang sicher sind«, sagte Sandra als Antwort auf Ninas Frage.
    »Wo soll das sein?«, fragte Carsten und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
    Sandra steckte ihre Waffe ein. »Der Ort, an dem wir uns während der vergangenen Wochen versteckt haben. Der Ort, wo die Dokumente liegen.«

Kapitel 4
    Sie brauchten zwei Tage, dann hatten sie die Grenze überquert. Von dem alten Bauernhaus aus waren sie in einem gestohlenen Wagen, den Fenn und Junior aufgetrieben hatten, nach Westen gefahren. Sie benutzten keine Hauptstraßen, nur Feldwege und schmale, gepflasterte Landstraßen, auf denen sie ständig die

Weitere Kostenlose Bücher