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Schweigenetz

Titel: Schweigenetz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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die Tiefe.
    »Sandra!« Carstens Arm schoss vor und verfehlte sie. Als er hinter ihr über den Rand der Dachrinne blickte, sah er, dass sie sicher in einem Heuhaufen an der Seite des Hofes aufgekommen war. Außer ihr war niemand zu sehen.
    »Kommt runter«, zischte sie.
    Nacheinander folgten sie ihr, landeten im Heu und rappelten sich auf. Das Stalltor war nur durch einen Draht gesichert. Carsten drückte es einen Spalt weit auf, dann schlüpften sie der Reihe nach hinein.
    Drinnen erwartete sie der warme Geruch nach Stroh, Pferdedung und den Ausdünstungen der Tiere. Entlang eines breiten Gangs befanden sich an die sechzig Pferdeboxen. Weder Stallknechte noch Mönche waren zu sehen. Die Tiere wieherten nervös und trabten in den kleinen Umzäunungen auf und ab. Sie witterten das näher kommende Feuer.
    »Wir müssen sie freilassen«, sagte Nina.
    Sandra schüttelte den Kopf. »Keine Zeit. Wir müssen hier fort, bevor uns jemand findet.«
    »Das Mädchen hat recht«, wandte Hagen ein. »Wenn wir sie rauslassen, gelingt es uns vielleicht, innerhalb des Trubels unbemerkt zu entkommen.«
    Sandra hob die Schultern. »Meinetwegen«, sagte sie dann.
    Sie öffneten ein Gatter nach dem anderen und entließen die Pferde auf den Gang. Dort liefen die Tiere ängstlich hin und her, schnaubend und wiehernd, mit einem panischen Funkeln in den Augen. Nicht mehr lange, und ihre Nervosität würde sich in Aggression verwandeln.
    Sie hatten etwa die Hälfte der Boxen geöffnet, als es in der vorderen Ecke der Halle knirschte und mit einem Mal lichterloh brannte. Die Flammen sprangen blitzschnell auf das Stroh in den Boxen über, und innerhalb von Sekunden stand die vordere Wand des Stalls in Flammen. Das Prasseln des Feuers und die angsterfüllten Schreie der Pferde vermischten sich zu ohrenbetäubendem Lärm. Hagen rannte vor zum anderen Ende der Halle und stieß das zweite Tor auf, das hinaus auf die Weiden führte. Um ein Haar hätten ihn die wildgewordenen Tiere niedergetrampelt. Im letzten Moment warf er sich zur Seite.
    »Los, schnappt euch jeder ein Pferd!«, schrie er über das Chaos hinweg.
    »Aber … die restlichen Tiere«, brüllte Nina.
    Carsten riss sie am Arm herum. »Wir haben keine Zeit. In ein, zwei Minuten brennt der ganze Stall.«
    »Aber …«, begann sie hilflos, brach aber ab. Dann fuhr sie herum und rannte mit Carsten und Sandra ans andere Ende der Halle. Auch hier waren die Pferde nah an einer Panik, aber noch ruhig genug, um sich das Zaumzeug überstreifen zu lassen. Für Sattel blieb keine Zeit.
    Carsten war sicher, dass er nicht einmal auf eines der Tiere hinaufkommen würde, geschweige denn auch nur drei Meter weit darauf reiten könnte. Während Sandra und Nina bereits schwankend auf ihren Tieren saßen, versuchte er immer noch, seines zum Stillstehen zu bewegen.
    »Komm mit auf meins«, rief Nina. Sie reichte ihm ihre Hand und half ihm beim Aufsteigen. »Jetzt halt dich fest!«
    Es war nicht nötig, das Tier anzutreiben. Die Flammen züngelten immer weiter und heißer in ihre Richtung. Die Instinkte des Tieres ließen es aus dem Stand losgaloppieren, hinaus aus dem Tor, in die Kühle der Nacht.
    Hinter ihnen knirschte es erneut. Carsten sah aus den Augenwinkeln, wie die meisten der Tiere von Panik getrieben durch die Holzgatter ihrer Boxen brachen und ins Freie stürmten. Gleichzeitig griff das Feuer auf den Dachstuhl und die übrigen Wände über und verwandelte den Stall in einen lodernden Tunnel aus Feuer.
    Sandra fluchte, als vor ihnen aus der Dunkelheit mehrere Gestalten auftauchten. Nawatzkis Männer, ein halbes Dutzend. Noch ehe sie ihre Waffen hochreißen konnten, hatte die panische Herde sie erreicht. Drei oder vier der Männer wurden unter donnernden Pferdehufen begraben und ins Gras gestampft, die anderen sprangen schreiend beiseite. Sandra drehte sich nach hinten und versuchte im Reiten auf einen der Unverletzten zu zielen, ließ die Waffe aber dann sinken. Es hatte keinen Sinn mehr. Es galt jetzt nur noch zu entkommen, ganz gleich, ob jemand sie dabei beobachtete.
    Carsten klammerte sich mit beiden Armen um Ninas Taille. Sie selbst hatte alle Mühe, sich an den Zügeln festzuhalten. Während der ersten zweihundert Meter war er überzeugt, dass sie stürzen und sich das Genick brechen würden. Schließlich aber hatte Nina das Pferd so weit unter Kontrolle, dass sich sein Tempo verlangsamte. Die Mönche hatten bei der Ausbildung der Tiere gute Arbeit geleistet.
    Auf dem letzten Stück hatten

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