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Schweigenetz

Titel: Schweigenetz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Anblick des Mannes pure, kaum zu kontrollierende Furcht.
    Mit zusammengekniffenen Augen ließ er seinen Blick über die Monitorkonsole wandern. Vier Schirme zeigten das Innere der Redaktion aus unterschiedlichen Perspektiven, einer den Eingangsbereich und die Rezeption, ein letzter den Korridor vor der Stahltür. Das Bild war tatsächlich sehr dunkel.
    Es gab vier weitere Monitore, die zurzeit alle abgeschaltet waren. Einer überwachte Michaelis eigenes Büro, zwei weitere die Front des Gebäudes. Der vierte erlaubte einen groben Überblick über das Gelände an seiner Rückseite. Warum die drei letzten kein Bild zeigten, wusste Michaelis nicht; die Kamera in seinem Büro hatte er persönlich abgeklemmt.
    Die Anlage stammte noch aus der Zeit, als die Staatssicherheit im Gebäude residierte. Von hier aus überwachte sie ihre eigenen Mitarbeiter. Nawatzkis Leute hatten nichts anderes tun müssen, als die elektronischen Leitungen zu überprüfen, das Netz unter Strom zu setzen und einige der weniger gut versteckten Kameras geschickter zu verbergen. Zusätzlich hatten sie die akustischen Kontrollmöglichkeiten verfeinert und eine Reihe weiterer, nahezu unsichtbarer Mikrofone angebracht. Mit Ausnahme von Michaelis und dem Italiener hatte niemand, der im Gebäude ein und aus ging, eine Ahnung von der hochtechnisierten Überwachungsmaschinerie, die jeden Satz, jede Bewegung kontrollierte. Tafuri war ihr Großer Bruder.
    Der Koloss nahm wieder in dem Drehsessel an der Konsole Platz. Vor ihm lagen auf einer Ablage mehrere Kopfhörer.
    »Wie weit sind die Männer in Worthmanns Wohnung?«, fragte Michaelis.
    »Wie weit können sie nach einem Tag sein?« Tafuri sprach ohne den Hauch eines Akzents. Er besaß neben der italienischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft, legitim bereits als Kind erworben, und war – so hatte es zumindest aus Frankfurt geheißen – loyal bis zur Selbstaufgabe. Michaelis hätte nichts dagegen gehabt, Zeuge letzterer zu werden. Aber, so schalt er sich in Gedanken, so wenig er Tafuri mochte, so sehr schätzte er seine Qualitäten. Der Italiener verbrachte bis zu sechzehn Stunden am Tag in diesem Raum, es gab keine Ablösung. Nicht einmal Michaelis wusste, zu welchen Uhrzeiten der Mann sich schlafen legte, bislang hatte er keinerlei Rhythmus in seinen Ruhepausen erkennen können. So viel Selbstdisziplin und Körperbeherrschung waren beachtlich. In Anbetracht dessen sollte ihm seine Streitsucht vergönnt sein. Er selbst hätte hier oben bereits nach einem Tag den Verstand verloren.
    »Gut«, sagte er betont ruhig, »dann stelle ich die Frage anders: Wann sind die Arbeiten abgeschlossen?«
    »Spätestens übermorgen. Vorher können wir die Wohnung nicht überwachen.«
    »Wie viele Mikrofone lassen Sie anbringen?«
    Tafuri beobachtete die Monitore; um diese Zeit war nirgends eine Menschenseele zu sehen. »Zwei in jedem Zimmer, eines im Bad und noch eines im Flur. Wir haben derzeit noch Probleme mit der Anlage in seinem Wagen; alle paar Minuten bricht der Funkkontakt ab. Etwas stört unseren Empfänger. Ich denke aber, dass ich den Schaden bis spätestens morgen Abend behoben habe.«
    Michaelis nickte. »Hat er sich heute mit Nina getroffen?«
    »Ja.«
    »Und?«
    Tafuri verzog keine Miene. »Möchten Sie wissen, ob sie Sex miteinander hatten?«
    »Hatten sie?«
    »Nein.«
    »Worüber haben sie gesprochen?«
    »Belangloses. Natürlich nur im Auto. Im Restaurant konnten wir sie nicht abhören. Unser Mann hat keinen Platz am Nebentisch bekommen.«
    Michaelis Blick wurde finster. »Verdammt nochmal, warum nicht?«
    Tafuri blieb ruhig. »Wie stellen Sie sich das vor? Wir können die Kellner nicht bestechen, das gäbe nur Aufsehen und Ärger. Alles, was wir tun können, ist abwarten und beobachten. Aber keine Sorge, wenn es so weit ist, werden wir es mitbekommen.«
    Michaelis schüttelte den Kopf. »Die Überwachung hat zu viele Löcher. Wenn die Sache schiefgeht, werden wir beide eine Menge Sorgen haben. Ich habe nie zuvor erlebt, dass Nawatzki so verzweifelt nach einem Strohhalm greift.«
    »Was wollen Sie damit sagen?« Tafuri schien aufzuhorchen.
    »Gar nichts, natürlich nicht.« Michaelis verfluchte sich selbst; er musste vorsichtiger sein mit dem, was er sagte. Keine Kritik. Keine Zweifel.
    Der Italiener wandte sich wieder seinen Bildschirmen zu. Michaelis fragte sich, was, zum Teufel, er dort mitten in der Nacht entdecken wollte.
    »Sorgen Sie dafür, dass die Überwachung lückenloser wird«,

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