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Schweigenetz

Titel: Schweigenetz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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verlangte er. »Wir können es uns nicht leisten, dass der Kontakt ohne uns zu Stande kommt. Und bitten Sie Nawatzki, dass er uns weitere Fahrzeuge zur Verfügung stellt. Worthmann wird irgendwann bemerken, dass ständig dieselben Autos hinter ihm sind.«
    Tafuri blieb stumm. Ein Nicken des riesigen Schädels. Keine weitere Antwort.

Kapitel 8
    Am Mittag bat Carsten Michaelis, abends früher gehen zu dürfen: Er wolle nach Leipzig, jemanden besuchen, den er lange nicht gesehen habe.
    Der Redaktionsleiter lächelte. »Die alte Freundin, von der Sie sprachen? Diese – wie war der Name? – Sabine?«
    »Sandra.« Carsten nickte.
    Michaelis' Lächeln wurde noch breiter. »Kein Problem. Aber unter einer Bedingung …«
    »Welcher?«, fragte Carsten verdutzt.
    »Dass Sie mir irgendwann von ihr erzählen. Ich verspreche Ihnen, dass ich meinen Mund halten kann. Wir haben hier viel zu wenig Klatsch und Tratsch. Wenn jemand wie Sie sich von einer Frau in den Osten ziehen lässt, muss in der Tat eine interessante Geschichte dahinterstecken.«
    Carsten erwiderte zögernd das Lächeln. »Es gab andere Gründe …«
    »Ach, was!«, unterbrach Michaelis ihn. »Geben Sie's zu.« Er stand auf und führte Carsten zu einer Bürotür. Plötzlich lachte er. »Ich will Sie nicht in Verlegenheit bringen. Erzählen Sie mir irgendwann davon, und wenn Sie nicht mit der wahren Geschichte herausrücken wollen, dann erfinden Sie eine. Irgendwas, das meine Neugier befriedigt. Einverstanden?«
    »Einverstanden.«
    Mit einem letzten verschwörerischen Grinsen schloss Michaelis die Tür. Carsten schüttelte den Kopf und schmunzelte still vor sich hin.
    Gegen halb fünf fuhr er in Tiefental los und landete mitten im Berufsverkehr zwischen Halle und Leipzig. Nach diversen Umwegen und den gleichen Fehlern beim Abbiegen an falschen Kreuzungen wie beim ersten Mal parkte er den Wagen um kurz nach sieben vor Sandras Haustür. Obwohl es diesmal nicht regnete und die Dämmerung noch nicht angebrochen war, wirkte der dunkle Häuserblock kaum freundlicher als bei seinem ersten Besuch. Im Gegenteil; jetzt erst konnte er deutlich erkennen, wie verfallen die Anlage wirklich war.
    Auf sein Klingeln bekam er keine Antwort. Wenn sie nicht für längere Zeit verreist war, dann musste sie seinen Brief mittlerweile gefunden haben. Was nicht hieß, dass sie allabendlich auf seinen Besuch wartete. Er versuchte, sich zu erinnern, ob sie in ihrem letzten Schreiben vor zwei Monaten etwas von einem geplanten Urlaub erwähnt hatte. Er war ziemlich sicher, dass das nicht der Fall war. Und wenn sie einfach nur Freunde besuchte? Oder ins Kino ging? Sie mochte Filme.
    Er klingelte ein zweites Mal, diesmal ohne Hoffnung. Wieder war er die Strecke umsonst gefahren. Sandra besaß auch drei Jahre nach der Wende noch keinen Telefonanschluss; trotzdem musste er sich beim nächsten Mal etwas einfallen lassen, um sie zu informieren. Mit einem Telegramm, vielleicht. Oder einem Zettel an der Tür.
    Während er noch überlegte, zupfte jemand von hinten am Ärmel seines Mantels.
    »Junger Mann, würden Sie mich wohl vorbeilassen?«
    Carsten fuhr herum und blickte ins Gesicht einer alten Frau. Sie trug einen abgewetzten Mantel und in der Hand eine Einkaufstüte. Ihr Gesicht war klein und faltig, und sie schien ungehalten, dass er die Tür versperrte.
    »Entschuldigung«, murmelte er und trat einen Schritt zur Seite.
    »Schon gut«, sagte sie und kramte in ihrer Manteltasche nach dem Schlüssel. Als sie ihn fand und ins Schloss steckte, fragte sie: »Ist wohl nicht da, derjenige, den Sie suchen, was?«
    Er nickte. »Sieht so aus. Es macht keiner auf.«
    Die Alte öffnete die Tür und trat ins Treppenhaus. »Vielleicht ist die Klingel kaputt? Oder abgestellt? Wenn Sie es drinnen versuchen wollen, sollten Sie mit hereinkommen.« Sie klang jetzt freundlicher.
    »Danke«, sagte er und folgte ihr ins Haus.
    Er sah, wie sie sich mit den Taschen die Stufen hinaufmühte. »Kann ich Ihnen die abnehmen?«, fragte er und deutete auf ihre Tüten.
    Sie schüttelte den Kopf. »Das ist sehr freundlich. Aber ich schaffe das schon seit über vierzig Jahren, da werde ich auch heute nicht dran sterben. Trotzdem vielen Dank.«
    Mit ihren Taschen blockierte sie die Treppe, aber es wäre unhöflich gewesen, an ihr vorbeizudrängeln.
    »Zu wem möchten Sie denn?«, fragte sie, als sie den ersten Treppenabsatz erreichten. Sie lässt sich mit Absicht so viel Zeit, dachte er.
    »Zu Kirchhoffs.«
    Sie stellte ihre

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