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Schweigenetz

Titel: Schweigenetz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Gedanken.
    »Sandra geht genau wie du noch zur Schule, oder?«, kam die nächste Frage.
    »Ja. Sie besucht eine dieser DDR-Athletenschulen. Sie will Hochleistungssportlerin werden.«
    »Tatsächlich? Welche Disziplin?«
    »Leichtathletik. Laufen, springen, verschiedene Dinge.«
    Konstantin nickte erneut, als schaffe er dadurch in seinem Kopf Platz für weitere Informationen. Um so überraschter war Carsten, als der Mann sich erhob und sagte: »Das war schon alles.« Er lächelte. »War's sehr schlimm?«
    Carsten zwang sich zu einem Grinsen, schüttelte den Kopf und stand ebenfalls auf. »Geht schon in Ordnung«, sagte er, weil ihm nichts Besseres einfiel.
    Seine Mutter wartete draußen auf dem Flur. Carsten war nicht sicher, ob sie gelauscht hatte. Konstantin schien wie selbstverständlich davon auszugehen. »Sehen Sie, mehr wollte ich gar nicht wissen«, sagte er. »Ich werde Sie nicht weiter belästigen.«
    Er nahm Hut und Mantel und wandte sich zur Tür. Dort reichte er beiden zum Abschied die Hand und ging dann durch den Vorgarten hinunter zur Straße. Carsten und seine Mutter sahen ihm durchs Fenster hinterher. Es gab kein Auto, das auf ihn wartete. Konstantin bog zu Fuß um die nächste Ecke; erst Mann, dann Schatten, dann nichts mehr.
    Es war lang her, dass von Heiden Nawatzki so zufrieden erlebt hatte. Nicht, dass man es ihm auf den ersten Blick ansah; es gab kein Lachen oder Jubeln. Vielmehr war es die Art, wie er sich in seinem Sessel zu von Heiden herumdrehte. Sogar die Tatsache, dass er sich umdrehte, war Zeichen seiner gelösten Stimmung.
    »Warum haben wir Kirchhoff nicht schon früher beseitigt?«, fragte von Heiden.
    Nawatzki sah ihn eindringlich an, offenbar nicht gewillt, sich seine gute Laune verderben zu lassen. »Damals war es unnötig. Er hatte mit der ganzen Sache nichts zu tun, es hätte nur für Ärger gesorgt.« Er lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Nein, Kirchhoffs Tod kam genau rechtzeitig. Sein Verschwinden wird Worthmann misstrauisch machen. Er wird seine Nachforschungen beschleunigen.«
    »Oder abbrechen.« Von Heiden war nicht überzeugt. »Was ist, wenn er befürchtet, der Nächste auf der Liste der Verschwundenen zu sein?«
    Nawatzki schüttelte den Kopf. »Bisher hat er dazu keine Veranlassung. Was weiß er denn? Nichts. Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, sollte er sich jetzt nicht auf die Suche nach seiner Cousine begeben.«
    »Was macht Sie da so sicher?«
    »Die Mechanismen der Liebe, Herr von Heiden. Vielleicht haben Sie schon davon gehört.«
    Aus Nawatzkis Mund klang das Wort Liebe klinisch und kalt. Wie ausgestanzt mit einem Seziermesser.
    »Hat die Überwachung in der Redaktion bislang irgendwelche Ergebnisse gebracht?«, fragte Nawatzki.
    »Nichts als das Übliche. Wir kontrollieren seine Telefongespräche, seine Post, seine Kontakte zu anderen.«
    »Ich habe nach Ergebnissen gefragt, nicht nach Ihrer Vorgehensweise.«
    »Er hat mit seiner Vermieterin hier in Frankfurt telefoniert und sie gebeten, ihm die Briefe zu schicken. Sie sind am Samstag bei ihm angekommen. Deshalb wollte er zu Kirchhoff.«
    »Haben Sie sie gelesen?«
    »Dazu blieb keine Zeit. Er hat sie nach Hause in die Wohnung schicken lassen, per Eilpost. Die einzige Möglichkeit wäre gewesen, den Boten abzufangen. Aber ich war der Ansicht, dass das zu viel Aufsehen erregen würde. Außerdem brauchen wir die Briefe nicht. Er braucht sie, wenn er gründlich recherchieren will. Und das sollte uns nur recht sein.«
    »Was ist mit der Sekretärin?«
    »Er mag sie. Sie ist ein hübsches junges Ding.«
    »Unterrichten Sie mich über alles, was in diesem Zusammenhang von Bedeutung sein könnte. Die Überwachung seiner Wohnung ist mittlerweile perfekt?«
    Von Heiden nickte. »Selbstverständlich. Wir beobachten jeden einzelnen seiner Schritte, ganz gleich wo und wohin.« Er lächelte siegessicher. »Sollten seine Nachforschungen Erfolg haben, wissen wir es wahrscheinlich noch vor ihm selbst.«

Zweiter Teil
    Hexentanz

Kapitel 1
    Es roch nach feuchtem Mauerwerk und nach etwas, das Carsten bei seinem ersten Besuch in der alten Kapelle nicht wahrgenommen hatte. Jetzt, nachdem er sich schon eine ganze Weile hier drinnen aufhielt, wurde ihm klar, was es war. Weihrauchschwaden hatten sich jahrhundertelang in die Wände gefressen, und selbst die vergangenen, menschenleeren Jahrzehnte hatten die Überbleibsel ihres würzigen Duftes nicht vertreiben können.
    Sebastian und er saßen sich gegenüber; er selbst in dem

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