Schweigfeinstill
Schneechaos, wie wunderbar. Heimfahren, mich einschneien lassen und aus allem aussteigen. Ich bezahlte meine Sachen, schlüpfte in meine Jacke und ging.
Draußen war es so kalt, dass die Luft glitzerte. Der Gemüsemann neben dem Internetcafé schloss gerade seinen Laden und drehte das ›Closed‹-Schild im Fenster um. »Soll Schneesturm kommen«, rief er zu mir heraus. Durch die Scheibe klang seine Stimme dumpf. Die Kälte drang durch meine Klamotten. Ich hätte genauso gut nackt hier herumstehen können, sehr viel mehr hätte ich nicht frieren können. Der Gedanke, schnell in der Hohenzollernstraße vorbeizugehen und ein heißes Bad zu nehmen, erhob die Stimme und verschaffte sich mit einem Mal viel Platz in meinem Kopf. Es war gerade einmal 15 Uhr, na gut, Viertel nach, und schon so gut wie stockfinster. Das heiße Bad wäre eine trügerische Wohltat. Besser ich nahm es daheim in meiner Klause.
Ich versuchte mich zu orientieren. In welcher Richtung lag die nächste U-Bahn-Station? In diesen Schwabinger Sträßchen verlief ich mich jedes Mal. Dunkelblaue Wolken trieben über den schwarzen Himmel. Das sah skurril aus. Als hätte sie jemand mit Gouache hingepinselt und ihnen anschließend Leben eingehaucht. Ungeduldig klopfte ich an die Scheibe des Gemüseladens. »Wo geht’s zur U-Bahn?«, rief ich. Aber der Mann hatte den Geschäftsraum schon verlassen.
Plötzlich ging alles schnell.
Eine schwarze Limousine hielt am Straßenrand. Während ich den Kopf wandte und den Mann ansah, der vom Beifahrersitz sprang, fiel mir auf, dass niemand mehr unterwegs war. Im plötzlich auffrischenden Wind schwankten die künstlichen Adventskränze über der Straße. Ich wurde gepackt und in das Auto gestoßen. So rasant, dass ich gegen einen Mann prallte, der entspannt auf dem Rücksitz saß und mich anlächelte. Die Limousine fuhr an.
»Was …«, begann ich, rappelte mich hoch, aber der Mann hob die Hand. Er wirkte sehr elegant in seinem schwarzen Anzug, der Fliege und dem Hut auf seinem Kopf. Sein Gesicht sah griechisch aus, wie auf den antiken Münzen, und der passende Bart stand säuberlich gepflegt um seine vollen Lippen.
»Sie sollten sich besser anschnallen. Machen Sie keinen Ärger, Frau Laverde.« Ich sah aus dem getönten Fenster. Wir rauschten schon aus Schwabing hinaus Richtung Mittlerer Ring. »Dies ist nur eine Unterredung. Ich bin sicher, dass Sie sich nachher richtig entscheiden werden.«
»Ich verstehe kein Wort.«
»Deshalb lassen Sie besser mich sprechen. Und die Hände lassen Sie mal hübsch auf Ihrer Tasche liegen!«
Ich starrte auf die Schultertasche in meinem Schoß. Eine Menge Gedanken stürmten zugleich auf mich ein, aber der deutlichste von ihnen lautete: Wenigstens ist es warm hier drin. Ich musterte die beiden Typen vorne im Wagen. Der Fahrer trug trotz der Düsternis draußen eine dunkle Brille, der andere, der mich gestoßen hatte, stülpte gerade eine schwarze Kappe auf seine Locken. Langsam legte ich meine Hände auf meine Tasche und faltete sie. Weiß sah ich die Knöchel hervortreten.
»Ich bin sicher, dass Sie sich bereits einen Teil der Geschichte zusammengereimt haben«, sagte der Mann. »Ach. Entschuldigen Sie, Frau Laverde. Ich habe mich noch nicht vorgestellt. Mein Name ist Müller.«
Ich spürte Müllers Blick auf mir. In der Dunkelheit ging mir die Orientierung verloren.
»Wir haben versucht, Ihnen klarzumachen, dass der Auftrag, den Sie für Herrn Steinfelder wahrnehmen, nicht das Richtige für Sie ist«, sagte Müller. Oder wie auch immer er hieß. Ganz bestimmt hieß er nicht Müller.
»Ach so?«, murmelte ich. An der Art, wie meine Stimme sich quälte, bemerkte ich meine Angst. Ich fing an zu zittern.
»Leider waren wir wohl nicht deutlich genug«, fügte Müller hinzu. »Deshalb unternehmen wir beide diesen Ausflug. Es wird Ihnen nichts geschehen.«
»Sie haben den Stein in meine Küche schmeißen lassen?« Dass er es selbst nicht getan hatte, stand außer Frage.
»Wir bitten Sie hiermit ausdrücklich, den Fall sein zu lassen und die Daten, die Sie zu dem Projekt Steinfelder gesammelt haben, zu löschen.« Er deutete auf meine Schultertasche, die unschuldig auf meinen Knien ruhte. »Ich gehe davon aus, dass Sie nach unserem Gespräch«, er machte eine Pause, »ohnehin kein Interesse mehr daran haben werden, diese Autobiografie zu Ende zu schreiben.«
Das konnte nicht gut gehen. Am allerwenigsten konnte gut gehen, dass sich mein Widerspruchsgeist meldete. Ich dachte an
Weitere Kostenlose Bücher