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Schweigfeinstill

Schweigfeinstill

Titel: Schweigfeinstill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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Die Filmsequenz hatte sie gelöscht. Ich legte die Kamera weg.
    Was hatte das hier mit mir zu tun?
    In der Küche hörte ich Andy wirtschaften. Wahrscheinlich kochte er Kaffee. Richtigen. Die Tassen klapperten lauter als sonst, wie in der Kombüse eines Kutters, der in der Nordseedünung rollte. Andy würde von mir erwarten, etwas zu unternehmen. Nur: was? Er bezahlte mich, damit ich seine Autobiografie schrieb. Der Pauschalbetrag, den wir ausgemacht hatten, dünnte vor meinen Augen zu einem hauchzarten Sisalfädchen aus, denn ich benötigte viel mehr Zeit für die einzelnen Interviews, als ich mir ausgerechnet hatte.
    Üblicherweise kalkulierte ich, wie viel Arbeitszeit ein Projekt mich kosten und wie viele Seiten es schlussendlich umfassen würde. So kam ich zu einem fixen Honorar, auf das ich zehn Prozent aufschlug, um auf der sicheren Seite zu sein. Denn manchmal stieg der Arbeitsaufwand, wenn der Kunde viele Korrekturen forderte und zudem keine Aussicht auf einen Verlagsvertrag bestand, bei dem für mich eine prozentuale Beteiligung drin wäre.
    Also schön, mal wieder Lehrgeld bezahlt. Wer hatte meine Unterlagen geklaut, und wer hatte den Toten im Unfallwagen bestohlen? Wie viel war das alles wert? Was waren mir meine Dokumente wert? Mein Laptop? Mein Beruf, meine Sicherheit und Freiheit auf meiner Parzelle? Ich sah zum Fenster. Draußen balgten sich blaugraue Wolken um die besten Plätze über Bogenhausen. Ich ging zu Andy in die Küche.
    Er hatte am Küchentisch gedeckt, nicht im Wohnzimmer. Ich verstand sofort, weshalb: Seine linke Hand zitterte so heftig, dass er niemals Geschirr und Kaffeekanne die paar Meter über den Flur hätte tragen können.
    »Kaffee?«, fragte er. Unser Gemeinschaftsgefühl von eben verflog. Ich spürte die Ansprüche, die er gleich erheben würde. Die Energie, die von ihm ausging. Seine ungeheure Willensstärke. Zum ersten Mal wurde mir klar, wie durchsetzungsfähig Andy Steinfelder war. Einer von den Resoluten, der wusste, wo er hinwollte. Weil ich keine Ahnung hatte, was ich tun oder sagen sollte, setzte ich mich und ließ mir Kaffee einschenken. Andy wies mit halbherziger Geste auf die Mandelkekse.
    »Bitte«, sagte er. »Jenny. Sprechen.«
    Ich würde nicht mit Jenny sprechen. Das kam nicht infrage. Ghostwriter schreiben über das Leben anderer. Aber sie greifen nicht in fremde Leben ein. Klar, ich weiß, was viele jetzt sagen werden: Wenn alle immer nur wegschauen, weil eine Sache sie offiziell nichts angeht, kümmert sich irgendwann niemand mehr um irgendjemanden, und wir werden zu Ungeheuern. Altruismus war trotz aller Nachteile eine ganz gute Sache.
    Andy konnte kein Gespräch mit Jenny führen. Einfühlsame Unterhaltungen mit hormongeschüttelten Teenagern gelingen den wenigsten Erwachsenen, und wenn, dann nur unter Tränen, Beteuerungen und anschließendem Haareraufen. Ein Aphasiker hatte da gar keine Chance. Und wenn ich mit ihr redete – worauf sollte ein Gespräch mit Jenny hinauslaufen? Ich wollte sagen, zeigen Sie die Filme Ihrer Frau, Andy. Aber natürlich ging das nicht. Ehrlich, ich hatte nicht die Bohne Lust, in eine Familienzwistigkeit dieses Ausmaßes hineingezogen zu werden.
    »Schule. Kommt.«
    »Sie meinen, wenn Jenny von der Schule kommt, soll ich mit ihr reden?« Saublöd formuliert, Kea. Jetzt bist du schon so gut wie drin im Boot der Familie Steinfelder.
    Andy nickte ekstatisch. Sein Körper bebte vor Unruhe. Sogar sein Kopf schien anzuschwellen. Seine Nase lief. Er angelte mühsam ein Taschentuch aus der Packung und schnäuzte sich. Ich dachte an seine Autobiografie und die Arbeit, die ich bereits hineingesteckt hatte. An diesem tristen Vormittag empfand ich das Bedürfnis, alles hinzuschmeißen. Zum Flughafen zu fahren und die erstbeste Maschine auf die Kanaren zu nehmen.
    »Ich muss mir das erst überlegen«, versuchte ich mich aus der Affäre zu winden. Noch blöder, Kea. Ein Rückzieher, der in Wahrheit keiner ist.
    Andys Gesicht wurde knallrot. Er lief mit einer Geschwindigkeit dunkel an, dass ich Angst bekam. Andy litt an zu hohem Blutdruck, der die Ursache für den Schlaganfall gewesen war. Was, wenn er bei all dem Stress hier vor mir den nächsten Hirninfarkt bekam? Jenny hatte mir mal gesagt, dass die ganze Familie genau davor eine Heidenangst hatte. Ich durfte nicht zulassen, dass Andy …
    Stopp!
    Ich schob meine Tasse weg. Was für eine Kraft zog mich hier in die Tiefe? Die Frage, ob ich schuld sein könnte, wenn Andy zum zweiten Mal

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