Schweigfeinstill
halten.
Müller klickte einen Ordner an und startete einen weiteren Film. Ich konnte nicht anders. Ich musste hinsehen. Eine sehr dünne Frau kletterte eine Leiter hoch. Eine Leiter, die aus einem See auf einen Badesteg führte. Das Seewasser war grau und aufgewühlt. Eisstücke trieben darin. Die Frau wollte den Steg betreten, sie zitterte am ganzen Leib und konnte sich kaum aufrecht halten, aber ein Mann mit einer Kamera hielt sie zurück. Der zweite Kameramann musste ganz am anderen Ende des Stegs stehen. Er zoomte näher heran und zeigte das verzweifelte Gesicht der Frau. Sie sah so grau aus wie der See. In ihrem nassen Haar bildeten sich Eiskrümel. Ein Schwenk. Man sah die Brüste der Frau, winzig klein, und die Nippel, kraus vor Kälte. Eine behandschuhte Hand schoss vor und zwickte eine Klammer an den einen Nippel, dann eine an den anderen. Die Frau schrie auf. Der Mann zwang sie, in den See zurückzuklettern. An den Klammern waren Ketten befestigt. Die Frau stieg in den See. Ich hatte keine Ahnung, wie lang ein Mensch so stark unterkühlen konnte, aber sie sah aus, als hielte sie nicht mehr lange durch. Ich wollte wegschauen, doch meine Augen klebten am Bildschirm fest. Der Mann zog an der Kette und führte die Frau vom Steg aus durch das Wasser, indem er an der Kette zog. Sie machte eine Bewegung, als wollte sie die Klemmen entfernen. Er zog nur umso fester.
»Raus«, hauchte sie. »Lass mich raus.« Eine Armbanduhr kam ins Bild.
»Noch zwei Minuten. Die schaffst du!«
Ich knallte das Notebook zu. Ein amüsiertes Lächeln schwirrte um Müllers Lippen.
»Wie gesagt«, er nickte bedeutungsvoll, »ich gehe davon aus, dass Sie Ihre Informationen zurückhalten, den Kontakt zu Steinfelder einstellen und Ihre Unterlagen löschen.« Er grinste. »Im Endeffekt haben Sie ja keine Dokumente mehr.«
»Wer war der Kerl, der in meinem Haus …?« Ich sah aus dem Fenster. Wir ordneten uns am Kreuz Brunntal Richtung Salzburg ein.
»Genug, Frau Laverde.«
Auf der Gegenseite war die A 8 stark befahren, doch auf unserer Seite waren wenige Autos unterwegs. Der Fahrer beschleunigte. Der zweite Mann drehte sich zu Müller um und fragte: »Chef, sollen wir?«
»Habt ihr alles bereit?«
Sie blufften. Sie wollten mir Angst machen, ihren Forderungen Nachdruck verleihen, deutlich machen, wie ernst es ihnen war. Dem Beifahrer merkte ich an, wie gern er mit mir seine Spielchen getrieben hätte. Unwillkürlich kroch ich tiefer in meinen Sitz. Hatte er der Gans den Hals umgedreht?
»Sie sagen«, flüsterte ich, »die Frauen machen das freiwillig?«
»Aber sicher.«
»Gibt es Geld dafür?«
Müller brüllte vor Lachen. Er zückte eine Geldbörse und hielt mir ein paar Hunderter vor die Nase.
»Glauben Sie, dass irgendetwas auf dieser Welt nichts kostet?«
Ich würde es nicht machen. Nicht für Geld. Nicht für alles Geld der Welt. Ich biss mir auf die Lippen und sah demonstrativ in die andere Richtung.
»Es ist nichts Ungesetzliches«, sagte Müller.
Nein. Es gab sie überall, die Hintertürchen und Schlupfwinkel. Er konnte seine Pornos auf einen Server in Sonstwo stellen. Das Internet hob nationale Grenzen und Gesetze auf. Der Stein, der mein Küchenfenster zerschmettert hatte, war auch nur eine Ordnungswidrigkeit. Ein Späßchen. Die tote Gans per Handy war nur eine Gans. Und der Unfall, der den Handlanger ins Jenseits befördert hatte, war nur ein bedauernswerter Unfall. Jemand vom Fußvolk hatte dran glauben müssen. Das war nichts, was Herrn Müller aus dem Konzept bringen konnte. Ganz zu schweigen von dem verkratzten Lack an meinem Alfa.
Es schneite nun sehr stark. Ich sah die Flocken im Licht der Scheinwerfer auf uns zutreiben. Unwillkürlich zog ich die Schultern zusammen. Der Schnee bildete einen eisigen Film auf dem Asphalt. Dennoch raste der Fahrer unbeeindruckt weiter. Der Mann, der sich Müller nannte, musste sich sehr sicher sein, nicht belangt zu werden. Ich dachte an meinen Laptop in meiner Schultertasche. Wenn sie ihn mir abnahmen, war ich ruiniert. Ich hatte zu Hause im Arbeitszimmer ein Backup liegen. Jemand von Müllers Kaliber würde sich nicht scheuen, ein weiteres Mal einbrechen und es stehlen zu lassen. Mir fiel ein, dass heute endlich die Handwerker kommen mussten, um ein neues Fenster einzubauen. Hoffentlich hatte Carlo sich darum gekümmert. Carlo ... Trotz dieser abstrusen Story, die Keller mir aufgetischt hatte, traute ich meiner eigenen Menschenkenntnis. Im Augenblick blieb mir nichts
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