Schweigfeinstill
Rechner neben mir hockte ein Typ und besah sich die Konstruktion einer Uzi.
Nachdem ich den Inhalt des Umschlags begutachtet hatte, war ich eine gute Stunde planlos durch Schwabing gelaufen, bis der eisige Westwind mir Gesicht, Hände und Füße tiefgekühlt hatte. Valeska warb Kolleginnen als Pornodarstellerinnen an. So viel hatte ich nach einem kurzen Blick auf ihre Notizen verstanden. Auch dass es Geld zu verdienen gab, wenngleich nicht die satten Honorare, für die es sich gelohnt hätte, nackt durchs Internet zu geistern.
Das Internetcafé war bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Leute suchten Wärme, leisteten sich einen Snack, checkten ihre Mails oder saßen an der Theke und jammerten über ihre Jobs. Meine Ecke war nur von meinen beiden Nachbarn rechts und links einzusehen, aber dennoch hatte es mich Überwindung gekostet, die Pornos anzuschauen, die ich über Valeskas URL aufgestöbert hatte. These-Girls war ein Pornoportal. Mit Valeskas Passwort hatte ich jedoch nur eine von vielen Abteilungen aufrufen können. Sie zeigte drei Filmsequenzen mit derselben Darstellerin. Valeska Keim. Das zarte Gesichtchen war unverkennbar das jener Frau, der ich aus der Wohnung in Thalkirchen bis nach Schwabing gefolgt war. Jetzt verstand ich, warum Marietta mich so entgeistert gemustert hatte. These-Girls präsentierte sehr junge und vor allem spindeldürre Frauen. Allerdings war ich überzeugt, dass es genug andere Portale gab, wo echte Gardemaße gefordert waren.
Meine Stunde war fast abgelaufen. Unentschlossen klickte ich mich zu verschiedenen Nachrichten-Webseiten, um nicht dazusitzen wie eine Versuchstaube vor dem Schaltpult eines Verhaltensforschers.
Ich glaubte nicht an Zufälle. Generell nicht. Dazu hatte ich zu viel erlebt. Während ich über Seiten mit Texten scrollte, sortierte ich, was zusammenpasste. Erstens Carlo und die Vorwürfe gegen ihn, er habe eine Frau vergewaltigt und die Szene für das Internet gefilmt. Zweitens Valeska Keims Besuch in der Wohnung eines Menschen namens Lehr, einer Wohnung, in der sich zur selben Zeit Gina Steinfelder aufgehalten hatte. Drittens die URL mit Pornos, die jene Valeska Keim beim Masturbieren und allerhand anderen Betätigungen zeigten. Viertens die Pornos auf Jennys Festplatte inklusive die Szene, die Jenny selbst gefilmt hatte. Kein Porno, sondern eigentlich ein harmloser Mitschnitt einer Massagesitzung, in der Jennys Mutter die Hauptrolle spielte. Hatte Jenny, die mit den Dateien auf ihrem Rechner so ordentlich umsprang, einen Zusammenhang zwischen Gina und ihrem Masseur und den Pornos gesehen, die sie in ihren Ordnern abgelegt hatte? Warum sonst hätte sie das Zeug gespeichert, Kea, dachte ich mir und verließ das Netz. Um mehr herauszufinden, musste ich auf Jennys Rechner checken, ob sie Pornos aus dem These-Girls-Portal heruntergeladen hatte. Ich trank meinen Tee aus und ging zur Theke, um mir einen Bagel und ein Mineralwasser zu kaufen.
Essen und Denken gleichzeitig funktionierte sonst gut bei mir, nur diesmal nicht. Der Barmann grinste mich an. »Schmeckt’s?«
»Doch, ja!« Ich schickte das Lächeln zurück. Er erinnerte mich an den jungen Mann, der mich vor ein paar Jahren durch das ›Land der Könige‹ geführt hatte, durch Rajasthan, im Norden Indiens. Er trug einen Turban, seine Haut war um einiges dunkler als Carlos, und er sprach perfektes Bairisch.
»Soll Schnee geben«, sagte er und wies auf den Computerbildschirm hinter sich, wo die Webseiten von Antenne Bayern flimmerten. »Eine Menge. Haben Sie’s gelesen?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Ein richtiges Schneechaos. Hatten wir schon mal. Wann war das? Vor zwei Jahren? Na, egal. Ich bin froh, dass ich heute nicht mehr mit dem Auto wegmuss. Ich wohne nämlich gleich hier um die Ecke.«
Ich kaute meinen Bagel und sah mich in dem Café um. Am Tresen warteten Leute auf freie Rechner. Ich konzentrierte mich auf ihre Gespräche. Das machte ich oft, um einen Eindruck von authentischen Dialogen zu bekommen, die mir beim Schreiben nützlich sein konnten. Während sich draußen Dunkelheit zusammenbraute und die Weihnachtsbeleuchtung sich noch schriller von dem allgegenwärtigen Grau abhob, lauschte ich auf Bruchstücke. Ein richtiger Blizzard … Wie in Amerika, die haben ja oft Schneechaos … Da brechen die Strommasten zusammen und die Leute frieren sich den Hintern ab … Nur noch einen Kaffee, dann suche ich mir eine U-Bahn … Na, in der U-Bahn schneit’s nicht …
Mir schwirrte der Kopf.
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