Schweigfeinstill
Wir haben seine Frau aufgestöbert«, erläuterte Sutter selbstgefällig. »Ein Anwalt ist bei Steinfelder, und der hat ihn in null Komma nix raus.«
»Tatwaffe?«, fragte Jassmund.
»Ein Messer. Mit einer 30 Zentimeter langen Klinge, sehr scharf. Aber verschwunden. Die Tatzeit liegt ziemlich einwandfrei fest. Kurz vor elf. Laut Rechtsmediziner kann der Tote nicht länger als ein paar Minuten in der Garage gelegen haben, als Steinfelder über ihn stolperte.«
»Dann ist nicht Steinfelder der Täter«, sagte Nero. »Wie hätte er mit seiner Behinderung so schnell das Messer entsorgen sollen?«
»Die Garagenbesitzer sind empört, dass jemand die Dreistigkeit besitzt, ausgerechnet in ihrer Garage einen Mord zu begehen. Das Ehepaar hat Alibis, beide waren zur Arbeit, der Sohn in der Schule«, fuhr Sutter fort, ohne auf Neros Einwurf einzugehen.
»Hat Steinfelder etwas gesehen? Zeugen oder jemanden, der vom Tatort weglief?«, fragte Jassmund.
»Anscheinend nicht. Die Identität des Opfers konnten wir feststellen. Allerdings haben wir den Namen noch nicht an die Öffentlichkeit gegeben. Aus ermittlungstaktischen Gründen. Haltet euch also zurück. Der Tote heißt Johannes Lehr. Geschäftsmann, kümmert sich um die Sanierung von Gewerberäumen und leitet die Aufträge an Subunternehmen weiter. Seine Auftragslage ist spitze, seine Finanzen prekär.« Sutter nahm Nero die Erdnüsse ab und schaufelte sich eine Handvoll davon in den Mund. »Lehr lag mit dem Finanzamt im Klinsch. Man hatte ein Auge auf ihn.«
Neros Hand tastete zu seinem Handy. Lehr? War das nun ein Zufall?
»Entschuldigt.« Er stand auf und ging zur Toilette. In dem moosgrünen Kämmerchen eingeschlossen wählte er Uwe Kochs Nummer. Es war spät, aber heute Abend schlief niemand. Man sah aus dem Fenster, betrachtete den Schnee, machte sich Sorgen, wie man am nächsten Tag zur Arbeit kommen sollte. Die meisten hatten den Fernseher laufen und ergötzten sich an den Bildern von auf Bahnhöfen gestrandeten Reisenden, die einer Nacht in zugigen Notunterkünften entgegensahen. Nero hatte sich vorhin durch die Programme gezappt und Interviews von auf den Autobahnen in ihren Wagen eingeschlossenen Menschen gesehen, die ihre blaugefrorenen Füße massierten und vom ADAC mit heißem Tee versorgt wurden.
»Koch?«
»Guten Abend. Kommissar Nero Keller. Wir haben …«
»Ach, der Herr Kommissar. Das ist ein Wetterchen, was?« Bevor Kochs Redseligkeit zuschlagen konnte, sagte Nero:
»Der Mann, der bei Ihnen in der Firma mehrmals angerufen und nach Herrn Kugler gefragt hat …«
»Ja, genau, ich wollte mich schon bei Ihnen melden. Aber ich habe Ihre Visitenkarte nicht mehr gefunden!« Verlegenes Lachen. »Er hieß Johannes mit Vornamen. Ganz sicher.«
»Johannes Lehr?« Hier spinnen sich eine Menge feiner Fäden zu einem Netz, dachte Nero.
»Exakt. Heute Morgen ist es mir eingefallen. Johannes Lehr.«
»Danke«, brachte Nero heraus. Er legte auf und betrachtete die sorgfältig übereinander gestapelten Reader’s Digest-Bände und Asterix-Hefte auf dem Fenstersims. Was sollte er tun?
Als er ins Wohnzimmer zurückkam, sagte Sutter gerade:
»Und was ich besonders verrückt finde: Frau Laverdes Wagen parkt vor der Villa der Steinfelders.«
Nero sank auf das Sofa und griff mechanisch nach seinem Bier. Er spürte Jassmunds Blick auf sich, hörte die unausgesprochene Frage: Geht’s dir nicht gut? Nero selbst fühlte die Blutleere in seinem Gesicht wie eine kalte Schicht Creme.
»Laut Frau Steinfelder ist sie die Ghostwriterin ihres Mannes«, spielte Sutter seinen Trumpf aus.
»Na, dann ist ja alles klar«, sagte Jassmund, die Augen immer noch auf Nero gerichtet.
Keas aufgeregte Stimme hallte in Neros Kopf. Obwohl sie sich am Telefon eben bemüht hatte, besonnen zu reagieren, klang da etwas nach, das er zu identifizieren gewohnt war. Angst. Hysterie. Allerdings hatte Nero nicht die Absicht, vor Sutter darüber zu sprechen. Aphasiker, Andy Steinfelder ist Aphasiker, nicht stumm, nicht geistesgestört!, hatte Kea in Neros Ohr gerufen. Es nahm sie mit, dass ihr Klient über einen Ermordeten gebeugt gefunden worden war. Sie gehörte zu den Leuten, die sich schnell schuldig fühlten. Auch wenn sie so tat, als könne nichts sie aus der Ruhe bringen. Auch wenn sie nichts über sich selbst rausließ. Sie gestand sich ihre eigenen Ängste nicht ein. Kea Laverde passte in keine Schublade. Sie war kein Gutmensch, aber auch keine Zynikerin. Keine, die sich politisch
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