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Schweigfeinstill

Schweigfeinstill

Titel: Schweigfeinstill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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Davon wollte ich nichts hören. Ich musste verdammt noch mal selber entscheiden, was förderlich für mich war. Zum Kuckuck, wie konnte Juliane nur so geschwollen daherreden? Förderlich, was für ein Wort. Hätte ich es versehentlich auf Papier geschrieben, würde ich es rabiat ausstreichen.
    »Es gibt etwas, das dich mit diesen Frauen aus den Videos verbindet«, fuhr Juliane fort.
    »Was?«
    »Das Thema Schuld. Ich weiß nicht, weshalb Frauen so etwas mit sich machen lassen. Aber es hat mit dem Gefühl zu tun, minderwertig zu sein, ein Ding, ein Objekt. Die Lust nicht verdient zu haben, die in einer liebevollen, warmherzigen Atmosphäre aufflammt. Gewalt und Schmerz zu brauchen, um Lust empfinden zu können.«
    »Das hat mit mir nichts zu schaffen. Ich würde mich nie so erniedrigen lassen!«
    Juliane blieb unbeeindruckt.
    »Du tust deiner Seele Gewalt an. Du bleibst in der Kälte eines Lebens hängen, das keine Liebe annimmt.«
    »Juliane, bitte, hör auf zu predigen. Ich bin völlig kaputt.«
    »Du hörst mir jetzt zu«, sagte Juliane sehr ruhig und sehr bestimmt. »Ich bin es leid, mit anzusehen, wie du die Gesten und Worte der Liebe in deinem Alltag ausradierst.«
    »Welche Gesten und Worte der Liebe?« Ich konnte mich an nichts erinnern, aber die Strenge in Julianes Tonfall hielt mich davon ab, genauer nachzufragen.
    »Zum Beispiel einen Mann.«
    Jetzt wurde es brenzlig. Mein Haus war demoliert, draußen schneite es wie am Nordpol, und Juliane kam mir mit Männern.
    »Du weißt, dass ich die Männer, mit denen ich ins Bett gehe, unter anderem danach auswähle, ob sie mich nachher in Ruhe lassen.«
    »Die Männer, mit denen du im letzten halben Jahr ins Bett gegangen bist, konnte man allesamt in der Pfeife rauchen.«
    Damit hatte sie recht. Aber mit fast allen hatte es Spaß gemacht. Mehr nicht. Einfach nur Spaß.
    »Denkst du, du hast nichts Besseres verdient?« Juliane reckte den Hals. »Du brauchst nicht zu antworten. Denn genau das ist dein Punkt. Du denkst, du seiest es nicht wert, geliebt zu werden. Du nimmst deine Einsamkeit an, als sei sie eine gerechte Strafe.«
    »Ich bin nicht einsam«, protestierte ich.
    »Ich meine nicht die Einsamkeit dort oben in deiner Bruchbude. Ich meine die Einsamkeit hier.« Sie tippte mit ihrem Zeigefinger genau auf ihr Herz. »Eine einmalige Erniedrigung hat dich so aus dem Konzept gebracht, dass du …«
    »Lass das.« Ich warf die Decke weg und stand auf. »Bitte, lass mich.« Es kostete mich alle Kraft, nicht auf sie loszugehen, sie nicht anzuschreien, dass sie keine Ahnung hatte, wie ein Verrat, ein wirklicher Verrat, sich anfühlte. Ich brauchte die Geborgenheit ihrer kleinen Wohnung heute Nacht, und allein aus diesem Grund wollte ich es mir nicht mit ihr verderben.
    »Keller«, stellte Juliane fest.
    »Wie bitte?«
    »Nero Keller. Wenn du von ihm sprichst, verändert sich deine Stimme.«
    »Vergiss es!« Hitze stieg in mein Gesicht. Sehnsüchte verbrauchten sich. Auch die Sehnsucht nach Liebe. Irgendwann blieb nur das Bedürfnis nach Gleichmaß und psychischer Stabilität. Meine Fähigkeit, Ausschläge auf der Fieberkurve zu verkraften, war hinlänglich ermattet.
    »Seit einigen Wochen hast du keinen Kontakt mehr zu deinem Bruder. Was ist da los?«
    Teufel auch! Juliane bohrte wirklich in jeder Wunde herum. Ich hatte erfolgreich verdrängt, dass Jannes und mein Verhältnis auf Eis lag. Vermutlich gelang es seiner Frau Marlies allmählich, einen Keil zwischen uns zu treiben. Sie war schon immer eifersüchtig auf mich gewesen. Klar, ich hätte Janne längst anrufen können, ihn bitten können, mich zu besuchen, mit seinen Jungs das Wochenende bei mir zu verbringen und mein Haus mit Chaos, Geschrei und Albernheiten zu füllen.
    »Du bist stolz und leistest dem Leben Widerstand. Du tust nur dir selbst damit weh. Mario war ein Saftsack. Was ist mit all den anderen? Durchlebst du keine innere Entwicklung?«
    »Du kannst das nicht verstehen, Juliane«, flüsterte ich heiser.
    »Du bist nicht schuld daran, dass Mario dich verlassen hat. Du bist auch nicht verantwortlich dafür.«
    Ich fror und fühlte mich jämmerlich. Die grässlichste aller Ängste, die Todesangst, war zurückgekehrt und machte Sekunde um Sekunde Territorium gut. Ich fühlte das Zittern in meinem Inneren, das nicht von der herannahenden Erkältung stammte, sondern aus mir selbst: das Gefühl, es nicht schaffen zu können.

60.
    »Sie ist erfroren« , sagte der Rechtsmediziner, ein Riese mit einer

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