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Schweigfeinstill

Schweigfeinstill

Titel: Schweigfeinstill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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eine Frau?«
    »Sie hat mir ihren Namen nicht gesagt. So Mitte 30 ungefähr. Mollig. Schwarze Haare.«
    Ein Klopfen an der Tür ließ Marietta und Nero zusammenfahren.
    »Auf ein Wort, Keller!«, sagte Woncka steif.
    »Was gibt es?« Nero trat aus dem Vernehmungsraum. Halb erwartete er, eine Note verabreicht zu bekommen, wie einst in der Schule, wenn man in Mathe an die Tafel geholt wurde, um eine Gleichung zu lösen. Setzen, Keller. Ausreichend. Gerade noch.
    Im grauen Korridorlicht sah Woncka krank aus. »Eine Frauenleiche im Englischen Garten. Freiflug fährt hin. Ich möchte, dass Sie sich anschließen. Kollegin West macht an Ihrer Stelle hier weiter.«

     

59.
    Julianes helle Augen verschwammen hinter dem Dampf , der aus ihrem Kaffeebecher quoll. Nach meiner umfassenden Beichte war mir klar: Sie wappnete sich, um mir meine Lektion zu erteilen, auf welche Weise auch immer. Mein Hals tat weh. Das Wetter hatte ganze Arbeit geleistet und mir eine ordentliche Erkältung angehängt.
    »Unser Leben ist uns nicht gegeben, um uns oder andere zu erniedrigen, sondern um unseren Geist zu schulen und auf unserem Weg weiterzukommen.«
    Ich sah mich um, als könne noch jemand in dieses spartanisch eingerichtete Zimmer geschlüpft sein und sich an unserer Diskussion beteiligen. Hatte ausgerechnet Juliane das gesagt? Meine Freundin war eine höchst rational eingestellte Person, die mit Religion oder Esoterik nicht das Geringste im Sinn hatte. Ihre energiegeladene Präsenz schüchterte mich ein. Mit ihren 76 strahlte sie Kraft, Klarheit und Zielsicherheit aus. Sie trug ein enges, grünes Shirt mit der Aufschrift ›Rettet den Berggorilla‹ zu schwarzen Jeans, und zwei grüne Stecker funkelten in ihren Ohrläppchen.
    »Ich«, begann ich hustend. »… verdammte Kälte.«
    Juliane schüttelte den Kopf. »Mach dir nichts vor. Husten ist ein Zeichen, dass du dich von deinem Leben erstickt fühlst. Du bist nervös und unter Druck gesetzt.«
    »Ach, wirklich?«, unkte ich. »Seit wann bist du denn auf der spirituellen Welle unterwegs.« Ich trank einen Schluck Kaffee, um meine raue Kehle zu befeuchten. »Hör mal, ich werde beklaut, jemand krepiert vor meiner Haustür, Fenster gehen zu Bruch, Autotüren werden verkratzt, ich kriege ein Snuff auf mein Handy, und dann entführt mich ein Kerl mit den grässlichsten Videos auf der Festplatte, die du dir vorstellen kannst, schmeißt mich im Schneegestöber von Bord und riskiert, dass ich erfriere. Wahrscheinlich darf ich noch dankbar sein, dass er mich nicht wie diese Frauen auf seinen Filmen nackt in den Schnee gesetzt hat!«
    »Komm zu Atem.«
    »Weißt du, wie es bei mir zu Hause aussieht?« Der Gedanke daran, irgendwann mit dem Aufräumen anfangen zu müssen, verursachte mir Übelkeit.
    »Wenn du meinst, du müsstest dich erklären, heißt das, dass du dich angegriffen fühlst.«
    Ich hatte auf eine ersprießliche Menge Mitleid gehofft, nicht auf Vorhaltungen. Mir war kalt, mein Hals schmerzte, der Kaffee stieß mir sauer auf.
    »Juliane, ich – bin – attackiert – worden. Du weißt, was mir mein Haus bedeutet.« Ich war immer ehrlich zu Juliane gewesen. Sie wusste, was ich durchgemacht hatte. Sie kannte meine Abgründe und ihr musste klar sein, dass ich mein Haus brauchte, seine Sicherheit, seine Endgültigkeit.
    »Ich denke, es wäre an der Zeit, neue Wege einzuschlagen.« Juliane zog die Fersen unter den Hintern. »Der größte Teil deiner eigenen Gedanken ist dir gar nicht klar. Es geht hier nicht um Schuld.«
    Konfus sah ich sie an.
    »Wie kommst du auf Schuld?«, brachte ich heraus.
    »Du bist dabei, alles aufzugeben, was du dir vorgenommen hast. Unabhängig zu sein, frei zu sein. Du musst akzeptieren, dass dieses irdische Dasein aus Bruchstücken besteht. Warum quälst du dich mit der Vergangenheit? Gib dem Heute eine Chance.«
    Ich hatte keine Ahnung, wovon sie redete. Wie kam sie auf die Idee, ich würde meine mühsam errungene Freiheit und Unabhängigkeit aufgeben? Unwillig kroch ich tiefer in den Sessel.
    »Ich bin frei und unabhängig«, knurrte ich. »Ich brauche keinen Kerl mehr.«
    »Das meine ich nicht. Ist dir kalt? Warte mal.« Sie verschwand und kam mit einer Decke zurück, die sie mir mit einer für sie völlig surrealen mütterlichen Geste um die Schultern legte. »Es geht nicht darum, dass du jede feste Beziehung ablehnst, Kea. Es geht darum, dass du dich in einer Lebensform festbeißt, die nicht förderlich für dich ist.«
    Ich kuschelte mich in die Decke.

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