Schweine zuechten in Nazareth

[email protected]
    An: [email protected]
    Datum: 2. Mai 2009
    Betreff: Abreise …
    Mein lieber David,
    ich schreibe dir vom Flughafen in NY . Es tut mir wirklich sehr leid, aber Recherche-Arbeiten rufen mich nach Montana. Ich werde dein Theaterstück nicht sehen können … Wieder einmal …
    Wann kannst du mich besuchen?
    Du fehlst mir und ich würde gern deinen Freund wiedersehen. Ich habe ihn erst einmal gesehen. Ich war betrunken … (Oder war er es?) Und außerdem kann man das nicht mitzählen, weil ich dachte, er sei nur dein One-night-stand …
    Ich bin wirklich untröstlich, dass ich morgen nicht da sein kann. Wirklich …
    Ich drücke dich,
    deine Schwester

Von: [email protected]
    An: [email protected]
    Datum: 2. Mai 2009
    Betreff: Reines Herz
    Junge Dame,
    ich könnte mich aufregen, mir wünschen, dass dein Flugzeug von einem mit einem biologisch abbaubaren Messer bewaffneten Globalisierungsgegner entführt wird und dann auf einem Feld mit Genmais zerschellt.
    Aber du lügst so schlecht…
    Sogar schriftlich.
    Bis morgen in Paris,
    David

Annabelle Rosenmerck an Harry Rosenmerck
    Paris, 3. Mai 2009
    Lieber Papa,
    ich sitze in einem Café vor dem Théâtre des Mathurins. Ich warte auf den Beginn des Stücks von David. Ich bin drei Stunden zu früh dran. Ich bin heute Morgen mit dem Flugzeug angekommen. David hat keine Ahnung … Oder vielleicht doch … Ich glaube, er hat mich durchschaut. Wir werden sehen! Das Stück spielt in demselben Saal wie zu seinen Anfängen. Auf seinen ausdrücklichen Wunsch! Ganz schön versnobt, findest du nicht? Jetzt, wo er Theatersäle mit tausend Plätzen füllt, kehrt er in die Enge zurück. Ich kann mir vorstellen, dass er den Rausch wiedererleben möchte, den er bei den Aufführungen von Wer ich bin? empfand. In Wahrheit ist er immer noch brillant, aber sehr viel weniger, seitdem er klargemacht hat, wer er ist . Als ob der bleierne Mantel, der über seinem Geheimnis lag, auch die Schätze seiner schmerzhaften Inspiration unter sich verborgen hatte. Es war das letzte Mal, dass wir damals als Familie zusammen waren, glaube ich. Es gab da noch das Begräbnis von Oma, aber, auch wenn wir alle vier dabei waren, waren wir schon nicht mehr zusammen. Ich glaube, Mama findet daran ein gewisses Gefallen. Sie liebt die Geschichten, die Probleme, sie liebt es, einen Anspruch darauf zu haben, dich zu kritisieren. Und außerdem wird sie für immer die einzige Frau in dem Leben ihres Sohnes bleiben … Apropos, wenn man sie so reden hört, bin ich für sie keine Frau. Nie genug geschminkt. Die Nägel nicht gemacht. »Nicht genug zurechtgemacht«, das ist ihr bevorzugter Ausdruck. »Annabelle, du hast dich nicht genug zurechtgemacht … « Oder sie murmelt »Ein Jammer ist das … « Letztendlich hat sie uns in zwei Paare aufgeteilt, David und sie ist das eine, und wir beide sind das andere. Ein etwas lästiges Paar, mit dem sie von Zeit zu Zeit Kontakt haben muss. Bevor ich ins Flugzeug stieg, war ich bei meinem Therapeuten, deshalb darfst du nun an meinem vierzigminütigen Wiederkäuen teilhaben … gratis! Jedenfalls, ich bin hier, weil ich sie nicht einfach machen lassen will, weil mein Bruder mir fehlt.
    Wie schwer das für dich sein muss, Papa! Diese Jahre des Schweigens. Sie kommen nie mehr wieder. Und die Zeit macht nichts anderes als zu vergehen. David ist immer noch derselbe, er trägt keine rosa Röckchen und gluckst nicht mit Falsettstimme herum. Er ist derselbe kleine Junge, den du aufgezogen hast. Immer noch genauso stur. Genauso hübsch. Genauso stark. Genauso geplagt von Gerechtigkeit und Wahrheit. Genauso ungeduldig. Lächelst du, während du das liest? Ich weiß, dass du dich danach sehnst, ihn zu sehen, aber du weißt nicht, wie du es anfangen sollst. Ein Wort genügt und ich bringe ihn mit …
    Ich bin nächste Woche in Israel. Es ist höchste Zeit, dass ich dich als Schweinezüchter kennenlerne. Ich will dir nicht verhehlen, dass kein Mensch daran glaubt. Ich glaube, du machst dich seit mehr als zwei Jahren über uns lustig und schickst uns nur irgendwelche Fotomontagen!
    Und außerdem will ich mir darüber klar werden, wo mein Leben stattfindet. In New York, wo ich studiert habe, wo ich zur Frau wurde, wo meine Freunde sind? In Paris, wo wir geboren sind? In