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Schweine zuechten in Nazareth

Titel: Schweine zuechten in Nazareth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Sthers
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London, wo wir aufgewachsen sind? Ich habe erst überlegt, nach Paris zu ziehen, aber David ist ständig auf Achse und Mama würde sicher den Zweitschlüssel haben wollen! Dort unten in Israel? Wenn ich weit weg bin, ist es mein Land, aber sobald ich einen Tag dort verbringe, fühle ich mich unter all diesen Leuten fremd. Alle Israelis haben so eine Kraft in sich, aber auch diese Gewaltbereitschaft, diese Rauheit, fast schon Vulgarität. Ich glaube nicht, dass die Tatsache, im Krieg zu sein, dies alles rechtfertigt … Du wirst sicher sagen, man dürfe nicht verallgemeinern, aber ich denke, im Gegenteil, die Mischung der Orte und der Völker schafft gute oder schlechte Energien, aus denen sich die Atmosphäre eines Landes zusammensetzt. Und ich habe meines eben noch nicht gefunden.
    Vielleicht war es dort in jenem Café, wo wir vier zusammen waren, vielleicht war dies mein Land. Das Land meiner Kindheit, die ich nicht loslassen will.
    Doch da kommt David vom Ende der Straße auf mich zu, er hat den Kragen seines langen Mantels hochgeschlagen und schaut nicht hoch. Ich werde jetzt diesen Brief falten und ihn eintüten, sonst wird er nie fertig.
    Lieber Gruß,
    Annabelle
    P. S. Wie schrecklich, dass man dich nicht anrufen kann! Ich schau mal, dass ich dir meine Flugzeiten so schnell wie möglich zuschicke.

Rabbi Moshe Cattan an Harry Rosenmerck
    Nazareth, 4. Mai 2009
    Lieber Harry,
    ich habe mir erlaubt, Sie bei Ihrem Vornamen zu nennen, und Sie können mich Moshe nennen.
    Ich weiß gar nichts über Sie. Fangen wir noch einmal von vorn an, einverstanden? Warum hat Ihr Zorn oder Ihr Stolz Sie dazu bewogen, mit Dr. zu unterschreiben? Was haben Sie vorher gemacht? Sind Sie verheiratet? Haben Sie Kinder? Wie, warum fühlen Sie sich als Jude? Ich meine, wenn es weder das Praktizieren noch die Religion, noch der Glaube ist, der Sie jüdisch sein lässt … ist es dann vielleicht das Entsetzen, das Ihre Eltern erleben mussten?
    Sie müssen verstehen, ich habe es nicht selbst erlitten. Ich habe diese Gewalt a posteriori erfahren. Mehr als Mensch, denn als Jude. Ich war damals noch nicht geboren. Ich bin noch ein junger Rabbi, neununddreißig Jahre alt. Ich bin vielen Menschen begegnet, die davongekommen sind, und dieses Etwas, das in ihren Augen erloschen ist, hat in meinem Herzen eine Art von Tabu entzündet, das mir verbietet, mit Entsetzen Schabernack zu treiben. Der Horror darf nicht wie eine geschichtliche Anekdote erzählt werden. Denn wenn man sich das Recht herausnimmt, die Wirklichkeit zu deformieren, um sie amüsanter zu machen, wird man sie eines Tages tatsächlich ändern können, um sie schließlich klaffend, leer, inexistent werden zu lassen. Und an diesem Tag wird uns weder Israel noch sonst jemand beschützen können.
    Die Tatsache, ein Rabbi zu sein, hindert mich nicht daran, eine sehr persönliche und dezidierte Meinung zur Politik zu haben. Ich bin nicht blind mit Israel einverstanden, aber auch nicht ständig dagegen.
    Mein großer Sohn wird in einem Monat achtzehn. Er will nicht Geistlicher werden. Er wird zur Armee gehen. Weil er keine Wahl hat. Er sagt mir, dass es andere Wahlmöglichkeiten gibt als Gott oder den Krieg. Aber nicht hier. Hier heißt es, entweder Gott oder Krieg und beide stehen füreinander.
    Glauben Sie, dass es mir Spaß macht? Wissen Sie, wie sich das anfühlt, zu zittern, wenn die Kinder zur Schule gehen, nur weil sie in einen Bus steigen? Schaffen Sie es, nicht an den allgegenwärtigen Tod zu denken? Haben Sie eine Frau? Kinder?
    Besuchen Sie mich am nächsten Shabbat mit Ihrer Familie. Meine Adresse steht auf der Rückseite des Briefumschlags. Wenn Sie nicht zu Fuß kommen können, weil ich zu weit weg wohne, dann kommen Sie Sonntag, wenn Sie nicht am Sonntag kommen können, dann kommen Sie Montag.
    Die Menschen leben nebeneinander her und reden nie miteinander. Haben Sie sich schon einmal eine Stadt durch das Fenster eines Flugzeugs angesehen? Wir sind nichts weiter als kleine Ameisen, alle überzeugt von unserer Wichtigkeit, einige sogar davon, Helden der Geschichte zu sein. Das alles bekommt nur Sinn, wenn wir aufeinander zugehen, wenn wir teilen. Ich kann es kaum abwarten, Sie kennenzulernen. Verzeihen Sie mir, wenn ich Sie gekränkt habe.
    Herzlichst ,
    Moshe

David Rosenmerck an Harry Rosenmerck
    Paris, 4.  Mai 2009
    Lieber Papa,
    gestern war die Premiere meines

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