ihrem Mietwagen zu dir kommt. Wenn du diese Zeilen liest, wird ihr kleines Puppengesicht vielleicht schon die Schwelle deines Schweinestalls überquert haben.
Diese Angst, diese Unruhe, keine Neuigkeiten von jemandem zu haben, den man liebt, ich kenne sie!
Erinnerst du dich? Zwei Jahre bevor wir uns getrennt haben, bist du eine Woche ohne eine Erklärung weggeblieben. Du sagtest mir nur, dass du es gebraucht hattest. Und ich hatte mir weisgemacht, dass, wenn du mich betrogen hättest, du eine bessere Entschuldigung, eine richtige Ausrede gefunden hättest. Also habe ich dir geglaubt. Ich habe dich machen lassen. Was hast du in diesen Tagen gemacht? Kannst du mir davon erzählen, jetzt, wo es doch verjährt ist? Es würde mir guttun.
Lieber GruÃ,
Monique
Von:
[email protected] An:
[email protected] Datum: 14. Mai 2009
Betreff: Rosige Wangen
Meine liebe Schwester,
die Tatsache, dass ich homosexuell bin, macht aus mir noch lange nicht deine Freundin. Ich bleibe dein groÃer Bruder und, ganz ehrlich, ich will es gar nicht wissen, dass du dich von einem groÃen braungebrannten Typen hast nageln lassen.
Das bedeutet, ich bin sehr neidisch.
Es tut gut, sich lebendig zu fühlen, nicht wahr? Ich erinnere mich, als du klein warst, warst du immer so blass. Du bist nie drauÃen herumgelaufen. Mama gluckte über uns wie eine Henne. Du hast alles gelesen, was dir unter die Finger kam. Ich bin bestimmt deshalb zum Schreiben gekommen, weil ich gehofft hatte, eine Leserin wie dich zu finden. Ich dagegen war aufmüpfig, ich spielte FuÃball, um die Hintern meiner Kumpel zu beglotzen. Aber du, du warst so matt. Zwei Minuten leichtes Traben reichten, und schon warst du auÃer Atem und hattest rosige Wangen. So stelle ich mir dich nach dem Liebesakt vor, die Wangen rot wie Mohnblumen, mit glitzernden Augen.
Bist du inzwischen bei Papa angekommen? Ich kann es nicht glauben, dass er Schweine züchtet. Es ist so seltsam für mich. Er spricht nicht mehr mit mir, antwortet nicht auf meine Briefe. Ich fühle mich wie ein Kind, für welches man eine fantastische Geschichte erfunden hat, um ihm nicht sagen zu müssen, dass sein Vater gestorben ist. Schick mir einen Beweis, dass er noch lebt!
Bei mir ist es ruhig. Das Telefon klingelt nicht mehr so oft. Die Kritik war mörderisch. Es musste einmal so kommen ⦠Sie zerstören, was sie erschaffen haben. Ich war wie ein groÃes Wollknäuel. Nun ziehen sie wieder an dem Faden, in die andere Richtung ⦠Wenn ich nichts weiter bin als ein auseinandergezogener Wollfaden, werden sie aus mir wieder ein Knäuel machen. Oder auch nicht â¦
Was sollâs! Ich füge eine dieser Kritiken bei, vernichtend, aber so gut geschrieben. Ich hätte Lust, diesen Journalisten zu verführen. Ja ⦠eine seltsame Art, scharf zu werden, ich gebe es zu. Schnappe ein bisschen frische Luft, lebe, ich werde dich in Tel Aviv, in Paris oder sonst wo wiedersehen, mit rosigen Wangen,
dein Bruder David
Das koschere Schwein
Von:
[email protected] An:
[email protected] Datum: 14. Mai 2009
Betreff: Eine jüdische Mutter kommt zum Vorschein
Annabelle,
mit dieser E-Mail möchte ich dir noch einmal sagen, dass dein Vater sehr beunruhigt ist, und auÃerdem, dass wir auf deiner Durchreise in Paris nicht so richtig miteinander reden konnten. Wir haben noch nie wirklich miteinander reden können. Bei dir weià ich nicht, wie das geht. Schon als du klein warst, hast du mir Angst eingejagt. Du machtest den Eindruck, alles besser zu wissen als ich. Und ich glaube sogar, dass das wahr ist. Reden. Aber eigentlich interessiert mich das gar nicht. Ich will dir vielmehr nur etwas sagen, dir sagen, dass ich dich liebe. Dass ich stolz auf dich bin. Dass ich hoffe, dich bald verliebt zu sehen. GenieÃe die Zeit mit deinem Vater.
Ich drücke dich ganz fest,
Mama
Von:
[email protected] An:
[email protected] Datum: 16. Mai 2009
Betreff: Re: Eine jüdische Mutter kommt zum Vorschein
Mama,
hast du eine Krankheit, die du vor mir verheimlichst, oder sind es nur die Wechseljahre?
Wir müssen nicht miteinander reden, damit ich weiÃ, dass du mich liebst. Dass du mich zu viel liebst. Dass deine Liebe uns, David und mich, erstickte, und zwar so gründlich, dass wir es jetzt nicht nötig haben, jemand anderen zu lieben.
Ich fahre erst morgen zu Papa.
Ich gucke