Schweinehunde / Roman
einer indischen Hilfsorganisation zukommen lassen, die Sanlaap heißt. Warum gerade dieser Organisation?«
Diese Frage hatte Stig Åge Thorsen anscheinend erwartet.
»Ich meine, ich habe mal was im Fernsehen darüber gesehen, ich bin mir aber nicht sicher, vielleicht war das auch einfach ein Zufall, ich weiß es nicht.«
Er verschränkte die Arme vor der Brust. Für ihn war das Thema damit erledigt.
Nicht aber für Pauline Berg. Sie beugte sich zu dem Mann vor.
»Sanlaap operiert in Bombay, genauer gesagt im größten Bordellviertel der Welt in Kamathipura. Dort bieten sich zweihunderttausend Frauen und Kinder zum Kauf an. Die jüngsten sind gerade einmal sieben Jahre alt. Die Kinder werden als Sexsklaven in heruntergekommenen Bordellen festgehalten und müssen in der Regel fünfzehn bis zwanzig Kunden pro Tag bedienen. Ein Großteil von ihnen kommt aus Kathmandu in Nepal, wo sie mit ebenso hinterhältigen wie widerwärtigen Tricks von Sklavenhändlern gekidnappt und über die Grenze nach Indien verschleppt werden. Dort verkauft man sie an die Bordelle. In den ersten Wochen werden sie dort verprügelt und richtiggehend gefoltert, bis sie zusammenbrechen und ihr neues Schicksal akzeptieren. Wenn sie nicht gerade vergewaltigt werden, versteckt die Bordellmutter sie irgendwo in dunklen Verliesen wie Kriechkellern oder Dachböden, wo die Polizei sie nicht findet. Andernfalls fordern nämlich auch die Hüter des Gesetzes ihren Teil vom Kuchen ein. Die meisten der Mädchen sind HIV-positiv. Sie bekommen keine Behandlung und erkranken an Aids. Viele werden schwanger und ziehen ihre Kinder unter unbeschreiblich grausamen Verhältnissen auf.«
Sie hatte langsam und deutlich gesprochen und sich direkt an Stig Åge Thorsen gewandt, der sich so weit nach hinten drückte, wie es die Sitzfläche seines Stuhls zuließ, ihrem Blick aber nicht ausweichen konnte. Als sie fertig war, antwortete er ihr, ohne darüber nachzudenken, dass sie ihm gar keine Frage gestellt hatte.
»Ja, es ist schrecklich, und der Welt ist das vollkommen egal.«
Die Comtesse fiel ihm ins Wort. Ihre Stimme klang anklagend und scharf wie ein Rasiermesser.
»Sie spenden an Sanlaap, um sich ein besseres Gewissen zu verschaffen, nicht wahr? Sie wurden von Jeremy Floyd behandelt, weil Sie Ihre Finger nicht von kleinen Kindern lassen können, das stimmt doch, oder?«
Der Anwalt reagierte wütend.
»Was soll das denn jetzt?«
Aber Stig Åge Thorsens Reaktion war noch heftiger. Er protestierte laut und schrie förmlich: »Nein, nein, das ist nicht wahr, es ist umgekehrt gewesen, ich bin es, der misshandelt wurde.«
Auch Pauline Berg, angestachelt von der Comtesse, wurde lauter.
»Comtesse, er hat den Kindern nichts getan, verstehst du denn überhaupt nichts?«
Sie legte beschützend ihre Hand auf den Oberarm des Mannes.
Die Comtesse versuchte erst gar nicht, die Unstimmigkeit mit ihrer Kollegin zu kaschieren.
»Blödsinn, er war in der Behandlungsgruppe mit dem Hausmeister der Schule, Per Clausen, und mit dieser Krankenschwester, Helle … Helle … wie hieß die noch mal?«
Sie schnippte ein paarmal hilfesuchend mit den Fingern und wandte sich dabei wie beiläufig an Stig Åge Thorsen, und, tatsächlich, das Wunder geschah.
»Jørgensen, Helle Smidt Jørgensen, aber wir sind es, die …«
Weiter kam er nicht, denn endlich war dem Anwalt aufgegangen, was hier für ein Spiel ablief. Er stoppte das Verhör, indem er seinem Mandanten ganz einfach die Hand auf den Mund legte.
»Es reicht, meine Damen, das ist mehr als genug. Ich weiß nicht, was das hier soll.«
Er war wütend und sagte mit lauter, formeller Stimme: »Bitte vermerken Sie auf dem Band, dass ich meinem Mandanten die Hand auf den Mund lege und ihm dringend rate, das Verhör abzubrechen.«
Dann stand er auf und riss Stig Åge Thorsen förmlich mit sich in die Höhe, wobei er sich schützend zwischen ihn und die beiden Frauen stellte. Er wandte sich an die Spiegelwand.
»Das ist Psychoterror, Konrad, kommen Sie rein.«
Konrad Simonsen erhob sich schwer.
»Ich sollte wohl hineingehen und die Wogen glätten. Hast du den Namen mitbekommen, Arne?«
»Krankenschwester Helle Smidt Jørgensen.«
»Finde sie, und zwar sofort!«
[home]
60
D ie Comtesse fing ihren Chef nach dem Verhör auf dem Flur ab, wo sie geduldig eine Viertelstunde gewartet hatte, damit er ihr ja nicht durch die Lappen ging. Sie hielt ihn auf, kaum dass er sich vom Anwalt verabschiedet hatte: »Konrad, wir müssen
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