Schweinehunde / Roman
reden.«
Konrad Simonsen drehte sich verblüfft um. Ihr Ton war eindringlich, um nicht zu sagen scharf. Er wies sie, so freundlich es ging, ab: »Du, es tut mir wirklich leid, aber das muss warten. Ich bin auf dem Weg zu einem Briefing mit den Chefs und anschließend …«
Sie nahm seine Hand und zog ihn hinter sich her in sein Büro. Zu seiner Überraschung folgte er ihr ohne Proteste und gehorchte, als sie mit energischer Stimme sagte: »Setz dich!«
Dann blieb sie neben ihm stehen. Es sah zu ihr auf und fragte: »Was ist denn los?«
»Mit mir ist nichts los, aber mit dir.«
»Wie meinst du das?«
»Also, jetzt hör mal, kaum hast du zehn Sekunden Pause, bist du schon wieder auf dem Weg zu einem anderen Termin. Rede nicht immer um den heißen Brei herum und erzähl mir endlich, was passiert ist.«
Es war mehr ihre Hand auf seiner Schulter als ihre Worte, die ihn dazu brachten, nachzugeben. Er öffnete die Schublade seines Schreibtisches und reichte ihr den Umschlag, den er am Morgen erhalten hatte. Danach stand er auf und stellte sich mit dem Rücken zu ihr ans Fenster. Er hörte, wie sie auf seinem Stuhl Platz nahm, danach dauerte es eine Ewigkeit, bis sie plötzlich von hinten ihre Arme um ihn legte. Sie sprach leise, aber deutlich: »Was hast du unternommen?«
Konrad Simonsen antwortete nicht. Seine Worte wurden im Keim erstickt, als er plötzlich einen intensiven, süßsauren Geschmack auf der Zunge spürte. Er kam ohne Vorwarnung und erinnerte ihn an die sauren Drops seiner Kindheit, die er für fünf Øre das Stück – oder waren es zwei? – im Tante-Emma-Laden auf der Hauptstraße kaufen konnte. Bei dem Preis war er sich unsicher, nicht aber bei dem klaren, kräftigen Geschmack nach Zitrone und Zucker, der den ganzen Mund ausfüllte und noch lange anhielt, nachdem er das Bonbon gelutscht hatte.
Die Geschmackseindrücke erschreckten ihn aber bei weitem nicht so sehr wie die Bilder, die sie begleiteten. In kurzen Sequenzen sah er Anna Mia aufgeknüpft an einem Seil hängen. Im Todeskampf mit Armen und Beinen zuckend, während ihre flehenden Augen ihn vergeblich riefen. Die Vision dauerte weniger als eine Sekunde, dann wurde sie von Hass abgelöst.
Dankbar nickte er, während sich in seinem Kopf ein teuflischer Gedanke an den nächsten reihte. Eine durchtrennte Kniekehle, ein paar gebrochene Daumen oder, noch besser, ein kräftiger Tritt auf den Hinterkopf, während sein Opfer auf dem Bauch auf dem Boden lag, im Mund einen Bordstein. So sollte es sein. Niemand bedrohte seine Tochter … Er machte eine Faust und schlug sie in die Fläche seiner anderen Hand. Ein, zwei, mehrere Male. Nur kleine Bewegungen, damit die Comtesse die Umarmung nicht löste. Sie wiederholte die Frage und holte ihn zurück in die Wirklichkeit.
»Konrad, was hast du unternommen?«
»Anna Mia ist bei ihrer Mutter auf Bornholm. Hast du nicht einen Lakritz? Du hast doch sonst immer welche, kannst du mir einen geben? Oder einen Schluck Wasser.«
»Wie lange ist sie da?«
»Wer?«
»Wie lange bleibt Anna Mia auf Bornholm?«
»Bis Freitag, glaube ich.«
»Hast du mit ihr gesprochen?«
»Nein.«
»Auch mit niemandem sonst?«
»Nur mit dir.«
So standen sie eine Weile da, bis Konrad Simonsens Telefon klingelte und er sich widerwillig befreite. Die Comtesse setzte sich ihm gegenüber hin und hörte zufrieden, wie er, ohne irgendwelche Entschuldigungen oder Erklärungen vorzubringen, seine Sitzung um eine Viertelstunde verschob. Er zeigte auf das Kuvert, das sie noch immer in der Hand hielt, und fragte: »Was würdest du machen?«
Sie antwortete ihm beiläufig, als hätte die Frage keinerlei Bedeutung: »Das Übliche, Konrad.«
»Das kann ich auch selbst machen.«
»Nein, das übernehme ich. Aber, ich denke, du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Es ist ziemlich klar, dass er dir diesen Brief geschickt hat, um dich abzulenken.«
»Ja, nicht wahr? Ich habe ja vorher schon alle möglichen Drohbriefe erhalten.«
»Genau, man darf denen nicht zu viel Beachtung schenken.«
»Ich denke, Per Clausen hat das gemacht, weil ich ihn zusammen mit Pauline verhört habe … du weißt schon, wegen seiner Tochter. Vielleicht ist das jetzt seine Art der Rache. Aber das brauche ich dir ja nicht zu sagen.«
»Ja, kann schon sein. Aber jetzt sieh zu, dass du zu deinem Briefing kommst, und mach dir keine Sorgen mehr.«
Konrad Simonsen nickte, und die Comtesse hastete mit dem Umschlag in der Hand aus dem Büro. Als sich die Tür
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