Schweinehunde / Roman
niemand.«
»Sie haben gesagt, dass er getrunken hat. Hat das angefangen, als Ihre Nichte ertrunken ist?«
»Ja, das begann danach, heftig und destruktiv, ich glaube, Per wollte sich damit selbst strafen.«
»Fühlte er sich schuldig am Tod seiner Tochter?«
»Klar, und er war aus tiefster Seele unglücklich, das kam sicher noch dazu.«
»Wie war ihre Beziehung?«
»Das weiß ich nicht so genau, nur dass er sie über alles geliebt hat. Helene war aber auch ein sehr nettes Mädchen.«
»Erzählen Sie mir von ihr. Wie war sie so?«
»Zerbrechlich, zerbrechlich und begabt. Sie hatte den Intellekt ihres Vaters, nicht aber seine Robustheit. Aber sie war recht hübsch. Kam nach ihrer Mutter. Das ist nicht gerade die Stärke unserer Familie.«
Poul Troulsen fragte weiter ausführlich nach dem Mädchen. Helene Clausens Schicksal war eine der Fragen, die geklärt werden mussten. Konrad Simonsen hatte ihm per Telefon auf der Fahrt von Nyborg nach Odense durchgegeben, was er fragen sollte. Ihre Tante wusste aber nicht viel zu berichten, außer dass ihre Nichte, wie sie sagte, ein nervöses Gemüt hatte. Er konzentrierte sich auf den Tod des Kindes: »Kennen Sie die näheren Umstände des Unglücks?«
»Nicht genau. Sie ist ertrunken, aber das wissen Sie ja sicher. An einem Sommerabend 1994 am Bellevue-Strand, als sie mit ihren Klassenkameraden dort war. Mehr weiß ich nicht.«
»Sie sagten, er habe sich schuldig an ihrem Tod gefühlt. Warum?«
»Das ist nicht leicht zu erklären. Vielleicht dachte er, dass er nicht richtig aufgepasst hatte.«
»Und, hatte er das nicht?«
Dieses Mal dachte sie so lange nach, dass er bereits daran zweifelte, ob sie die Frage überhaupt beantworten würde. Als sie schließlich etwas sagte, stand ihr langes Nachdenken in einem Missverhältnis zu ihrer Antwort.
»Das weiß ich nicht.«
Er fragte vorsichtig nach: »Wollen Sie mir mitteilen, was Sie denken?«
»Ich glaube, dass Per in der letzten Woche gekommen ist, um sich zu verabschieden. Ich glaube, dass mein Bruder sich das Leben nehmen wird. Ich glaube, dass Helene ein psychisches Wrack war, als sie aus Schweden zurückkam. Und ich denke, dass Per etwas mit den schrecklichen Dingen an seiner Schule zu tun hat.«
Poul Troulsen hatte das Gefühl, von einer überraschend starken Windböe zurück auf seinen Stuhl gedrückt worden zu sein.
»Das sind sehr weitreichende Vermutungen.«
»Das stimmt, Sie brauchen mich aber gar nicht weiter auszufragen. Ich kann Ihnen keine konkreten Auskünfte geben. Was ich Ihnen gesagt habe, sind alles nur vage Vermutungen, Annahmen, die durchaus falsch sein können.«
Sie sollte wieder recht behalten. Er bohrte noch fast zwei Stunden weiter, bevor er die Segel strich und sie ihm, trotz seiner heftigen Gegenwehr, das Gästezimmer bereitmachte.
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21
K onrad Simonsen und Kasper Planck saßen, über das Schachbrett gebeugt, da und diskutierten zwischen den Zügen über die Ermittlungen, wobei manch eine Bemerkung unbeantwortet im Raum stehenblieb. Einer der Vorteile des Schachspiels ist, dass man sich nicht höflich unterhalten muss. Das Spiel war ausgeglichen, was vielleicht daran lag, dass die Verteidigungsstrategien der beiden unterschiedlicher kaum sein konnten. Kasper Plancks Stärke lag in der Taktik und in seiner kombinatorischen Fähigkeit, während Konrad Simonsens Vorzüge in der Theorie und dem strategischen Denken lagen. Obgleich er nach dem langen Tag müde und erschöpft war, hatte er wie üblich den besseren Start erwischt. Eigentlich hätte er an diesem Abend gerne auf das Schachspiel verzichtet, aber wenn er mit seinem früheren Chef zusammen war, bestimmte nur selten er die Tagesordnung. Seine vagen Signale, nur die Ermittlungen diskutieren zu wollen, wurden ignoriert, während der Alte das Brett, die Figuren und eine Flasche Cognac holte. Alles sollte sein wie immer, daran änderte auch ein fünffacher Mord nichts.
Konrad Simonsen machte einen Zug und beobachtete seinen Gegner. Kasper Planck war ein stattlicher älterer Herr mit einem schlanken, sehnigen Körper und grauweißen Haaren, die in widerspenstigen Wirbeln sein braunes Gesicht umrahmten. Seine klaren, grünen Augen huschten immer wieder über das Brett.
Er war ein Chef der alten Schule gewesen, dabei aber respektiert und – in seinen letzten Jahren – fast beliebt. Aber weder seine Führungsqualität noch seine Aufklärungsrate hatten ihn seinerzeit zu so etwas wie einem Mythos werden lassen. Sein Image als
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