Schweinehunde / Roman
stammte aus Onsild in Himmerland und war als Kind mit seinen Eltern emigriert. Seither hatte er nie wieder einen Fuß auf dänischen Boden gesetzt. Trotzdem erinnerte er sich sehr gut an das alte Land mit den goldenen, wogenden Kornfeldern und den idyllischen kleinen Bauernhöfen mit den windschiefen Fenstern, gegen die abends, wenn die Sonne unterging und die Dänen ihre Kerzen anzündeten, die blühenden Stockrosen schlugen. Wenn sie nicht schon ihre Nachtmützen aufsetzten und ins Heu krochen, erschöpft von ihrem zähen Kampf gegen Spark und Unkraut. Die E-Mail erzürnte den dänischen Auswanderer über alle Maßen – eine Gemütsstimmung, zu der er neigte und die mit den Jahren nicht verblasst war.
In den USA war er sehr erfolgreich gewesen und nun alleiniger Besitzer von achtzig Holzhandlungen. Ein lokales Holzimperium, das er mit harter, sicherer Hand aufgebaut hatte. Sein Lebenswerk. Vor ein paar Jahren hatte er sich aus dem täglichen Geschäft zurückziehen müssen und begnügte sich jetzt damit, die vielen Baumärkte als Vorstandsvorsitzender zu kontrollieren und sich dabei in alles einzumischen, wodurch er der Handvoll Direktoren, die nach seiner Pfeife zu tanzen hatten, das Leben zur Hölle machte. So war es auch jetzt.
Der schmächtige Körper des Alten zitterte vor Wut darüber, dass jemand es wagen konnte, sein altes Volk der Untätigkeit und Schwäche gegenüber Kinderschändern zu bezichtigen. Zwei seiner Konzernchefs erhielten deshalb den Befehl, unter seiner persönlichen Leitung eine passende Antwort auf diese schändliche E-Mail auszuarbeiten. Gemeinsam verfassten sie ein kurzes Memorandum, aus dem hervorging, dass in Dänemark Unzucht und Perversion knallhart bestraft würden. Sexualstraftäter hätten mit jahrzehntelangen Strafen zu rechnen, wobei sie in den königlichen Steinbrüchen zu arbeiten hätten. Der Alte glaubte wirklich daran.
Das Schreiben wurde an den Schwarzen Brettern von sechzig Baumärkten aufgehängt, wo es von niemandem gelesen wurde, sah man einmal von dem Personal ab, das sich über die seltsamen Behauptungen des schrulligen Alten amüsierte.
Das Thema schien sich schon totgelaufen zu haben, als eine Kundin auftauchte, die sich einen Schlüssel nachmachen ließ. Als Sprecherin des populärsten Radioprogramms in Chattanooga war sie immer auf der Suche nach eingängigen Geschichten mit absonderlichen Blickwinkeln und irrationellen Pointen. Sie fragte die Angestellten, worüber sie sich so amüsierten.
Auf dem Weg nach Westen nahm die Kampagne Fahrt auf und mündete schließlich in einer Skizze, deren Durchschlagskraft viel größer war als Per Clausens und Erik Mørks gut durchdachte Worte.
Zwei seriöse Nachrichtenbüros in Madison und Indianapolis brachten unabhängig voneinander die Meldung von den fünf hingerichteten Pädophilen und behaupteten, die dänische Regierung halte die Wahrheit vor der Öffentlichkeit zurück. Beide Nachrichtenbüros beriefen sich auf Internetquellen, was im Grunde dem Eingeständnis gleichkam, nichts über den Wahrheitsgehalt der Nachricht sagen zu können, aber daran störten sich nur wenige der Empfänger. Ein älterer Mann aus Tucson in Arizona hörte die Neuigkeit von seiner Nachbarin, die die mehrfache Hinrichtung mit anschließender Verstümmelung allem Anschein nach für die angemessene Behandlung solcher Unmenschen hielt und der Meinung war, die Regierung in Phoenix sollte sich das ruhig als Vorbild nehmen.
Der Mann ließ sich von dem kurzen Gespräch an seiner Hecke inspirieren. Er war Kunstmaler mit dem Spezialgebiet weinende Kinder. Überall im Mittleren Westen hingen seine unglücklichen Kindergesichter über den Sofas. Er war gefragt, wenn er auch kein großer Künstler war, denn dafür war sein Repertoire zu beschränkt und sein Talent zu gering. Trotzdem gelang es nur wenigen so gut wie ihm, die Hilflosigkeit und Verzweiflung in den Gesichtern kleiner Jungen wiederzugeben, die von Gott, nicht aber vom Pfarrer vergessen worden waren. Scharfe, kalte Stiche und kurze unkontrollierbare Zuckungen fuhren über sein Gesicht, seinen Hals und seine Bauchregion, als er, ein stilles Gebet sprechend, in sein Atelier ging und die Zeichnung begann. Acht Jahre auf der Cleveland Catholic Mercy School hatten seiner Seele Gottesfurcht und seinem Körper eine angemessene Angst vor den weltlichen Dingen des Lebens eingeimpft.
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I m Laufe des Mittwochs kamen die Ermittlungen in Gang auf. Der Vormittag hatte sich mehr oder weniger
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