Schweinehunde / Roman
die Haut, ihr Inhalt war ein manipulierendes Sammelsurium aus Fiktion und Fakten: Um den Kinderpornographie-Export des Landes nicht zu gefährden, verschweige der Staat, dass es sich bei den fünf Hingerichteten um Pädophile handele, was aber gut zu der Tatsache passe, dass Dänemark pädophile Vereinigungen und Internetseiten zulasse und sich standhaft weigere, eine bindende polizeiliche Zusammenarbeit mit den übrigen EU-Staaten einzugehen. Das Strafmaß für den sexuellen Missbrauch von Kindern sei lächerlich niedrig und wirke eher wie der Nachweis der offiziellen Akzeptanz dieses Verbrechens.
In der Folge wurden zwei konkrete Beispiele kurz und korrekt wiedergegeben, und am Ende der Mail wurde der Empfänger aufgefordert, die Botschaft weiterzuleiten und eine Petition an die dänische Botschaft in Washington zu richten.
Eine halbe Million E-Mails gingen in der Nacht zum Mittwoch an zufällige amerikanische E-Mail-Konten. Per Clausen hatte das Zielgebiet ausgewählt und in seiner Argumentation keinen Raum für Widerspruch gelassen. An einem Frühsommertag im Mai hatte sich die Gruppe auf Erik Mørks Terrasse getroffen, bei einem Glas Weißwein die Sonne genossen und gemeinsam die Mailkampagne geplant. Per Clausen sagte: »Die USA ist die Wiege aller Konspirationstheorien, sie haben eine lange Tradition, die bizarrsten Theorien unter die Leute zu bringen. Außerirdische in Roswell oder fingierte Mondlandung, ganz zu schweigen vom amerikanischen Geheimdienst, der – wie ja allgemein bekannt ist – immer wieder Präsidenten, Filmstars oder Musiker umbringt, wenn ihnen neben ihrer LSD-Produktion dazu noch Zeit bleibt. Wir können uns deshalb sicher sein, dass Hunderte empfindlicher Seelen und diverse bizarre Gruppierungen unsere Botschaft weiterleiten werden. Natürlich in ihrer eigenen Version, nämlich als unverrückbare Wahrheit, die nur Idioten oder staatlich angestellte Demagogen anzweifeln.«
Der
Kletterer,
Erik Mørk, Stig Åge Thorsen und Helle Smidt Jørgensen gaben nickend ihr Einverständnis. Auch keiner der Übrigen schien Per Clausen widersprechen zu wollen. Trotzdem brachte er noch weitere Argumente vor: »Außerdem sehen die Dänen zu Amerika auf. Wenn das auch die meisten niemals zugeben würden. Aber was in den USA geschieht, bestimmt auch hier die Tagesordnung der Medien, und hat sich das Gerücht dort erst festgesetzt, ist das viel zählebiger als alles, was wir mit fünfzigtausend Spammails hier erreichen würden. Egal ob es die Wahrheit, eine Lüge oder – wie in unserem Fall – eine Mischung von beidem ist. Bleibt das in Amerika Gesprächsstoff, wird sich das auch unweigerlich auf Dänemark ausweiten.«
Stig Åge Thorsen sagte zögernd: »Also, Per, meinetwegen können wir diese Mails ja nach Amerika schicken, aber äh … ich habe neulich eine Sendung über diese Mondlandung gesehen, und da haben sie gesagt, dass die im …«
Per Clausen lächelte breit.
Erik Mørk hob die Hände und übernahm das Wort: »Wir verstehen alle deine Pointe. Wie viele Mailadressen soll ich also beschaffen?«
»Eine halbe Million, Amerika ist verdammt groß.«
Zuerst fasste die Kampagne in Baltimore Fuß. Ein frustrierter Computertechniker machte die Botschaft unkritisch zu seiner eigenen. Der Mann war gerade nach neun erfolgreichen Jahren beim schwedischen Telefonproduzenten LM Ericsson gefeuert worden. Aus Rationalisierungsgründen, wie es hieß, was der Mann zutiefst ungerecht fand, und deshalb seine Kündigung sehr persönlich nahm. Da Geographie nicht gerade zu seinen Stärken gehörte, hielt er Dänemark für einen Landesteil von Schweden. Außerdem zweifelte er keine Sekunde daran, dass die Mail der Wahrheit entsprach. Dass in Stockholm jegliche Moral abhandengekommen war, war ja bekannt, und es überraschte ihn nicht, dass es in anderen Gegenden noch schlimmer sein sollte. Aus Rache für seine Kündigung und um der guten Sache willen schickte er die Mail an alle sechzigtausend Angestellten der Firma. Außerdem schrieb er eine eigene Kurzversion, die er über seinen SMS-Server in London an eine Viertelmillion Vodafone-Kunden schickte, wohl wissend, dass er nur einmal gekündigt werden konnte.
Auch wenn viele E-Mails natürlich gleich gelöscht wurden oder gar nicht erst durch den Spamfilter kamen, rutschten einige wenige hindurch und breiteten sich aus. Eine davon erreichte einen ungekrönten Holzbaron und Konzernchef in Knoxville, Tennessee.
Der Mann war dreiundneunzig Jahre alt. Er
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