Schweinsgalopp
bestimmten Sachen waren ähnlich deprimierend. Es handelte sich fast immer um Pferde, und die meisten von ihnen grinsten. Pferde sollten nicht grinsen, fand Tod. Seiner Meinung nach hatten grinsende Pferde irgend etwas vor.
Er seufzte erneut.
Außerdem mußte man entscheiden, wer brav oder ungezogen gewesen war. Zuvor hatte er nie darüber nachgedacht, denn letztendlich machte es überhaupt keinen Unterschied.
Wie dem auch sei: Alles mußte richtig sein. Sonst funktionierte es nicht.
Die Schweine hielten neben einem weiteren Kamin an.
»Da sind wir, da sind wir«, verkündete Albert. »Jakob Rätsel, acht Jahre alt.«
HA, JA. IN SEINEM BRIEF HEISST ES: »ICH WETTE, ES GIBT DICH GAR NICHT, ALLE WISSEN, DASS DU DIE ELTERN BIST.« OH, JA, sagte Tod, und diesmal lag fast so etwas wie Sarkasmus in seiner Stimme. SEINE ELTERN KÖNNEN ES SICHER GAR NICHT ABWARTEN, SICH DIE ELLENBOGEN IN EINEM SCHMUTZIGEN UND VIEL ZU ENGEN SCHORNSTEIN WUNDZUSTOSSEN. ICH TRETE ZUSÄTZLICHEN RUSS AUF SEINEM TEPPICH AB.
»Das ist die richtige Einstellung, Herr. Und los geht’s.«
WIE WÄR’S, WENN ICH IHM NICHTS SCHENKE? ALS STRAFE DAFÜR, DASS ER NICHT AN MICH GLAUBT?
»Was würdest du damit beweisen?«
Tod seufzte einmal mehr. ICH SCHÄTZE, DA HAST DU RECHT.
»Hast du die Liste überprüft?«
JA. ZWEIMAL. GENÜGT DAS?
»Ich denke schon.«
EIGENTLICH WERDE ICH NICHT RICHTIG SCHLAU DARAUS, UM GANZ EHRLICH ZU SEIN. WIE SOLL ICH FESTSTELLEN, OB DIESER JUNGE BRAV ODER UNGEZOGEN GEWESEN IST?
»Oh, nun… Ich weiß nicht… Sieh nach, ob er seine Sachen ordentlich aufgehängt hat oder so…«
UND WENN ER BRAV GEWESEN IST, GEBE ICH IHM DIESEN KLATSCHIANISCHEN STREITWAGEN MIT ECHTEN DREHBAREN KLINGEN?
»Ja.«
UND WENN ER UNGEZOGEN GEWESEN IST?
Albert kratzte sich am Kopf. »Ich habe als Junge manchmal einen Beutel mit Knochen bekommen. Solche Erfahrungen lassen Kinder gegen Ende des Jahres plötzlich sehr brav werden.«
MEINE GÜTE. UND BEI JAKOB RÄTSEL?
Albert hob eine Schachtel ans Ohr und schüttelte sie. »Klingt nach Socken.«
SOCKEN.
»Könnte auch ein Unterhemd aus Wolle sein.«
GESCHIEHT IHM GANZ RECHT, WENN MIR EINE MEINUNG GESTATTET IST…
Albert blickte über die schneebedeckten Dächer und seufzte. Es war einfach nicht richtig. Er half nur deshalb, weil er nun in den Diensten des Todes stand. Mehr steckte nicht dahinter. Wäre sein Herr mit einem Herz ausgestattet, befände es sich bestimmt am rechten Fleck, aber…
»Bist du sicher, daß wir den Schneevater vertreten sollten, Herr?«
Tod zögerte auf halbem Wege in den Schornstein.
HAST DU EINEN ANDEREN VORSCHLAG?
Albert schwieg. Nein, er hatte keinen anderen Vorschlag.
Jemand mußte diesen Job erledigen.
Wieder trieben sich Bären auf der Straße herum.
Susanne schenkte ihnen keine Beachtung und sparte sich auch den Hinweis, daß die Kinder nicht auf die Risse treten sollten.
Die Bären standen einfach nur da und wirkten verwirrt. Sie waren transparent, allein für Kinder und Susanne sichtbar. Neuigkeiten wie Susanne sprachen sich schnell herum. Die Bären hatten von dem Schürhaken gehört. Nüsse und Beeren, schienen ihre Mienen mitzuteilen, deshalb sind wir hier. Lange spitze Zähne? Welche langen spitzen… Oh, diese langen spitzen Zähne? Die sind nur dafür bestimmt, Nüsse zu knacken. Und manche Beeren können ziemlich hart sein.
Die Uhren der Stadt schlugen sechs, als sie zum Haus zurückkehrten. Susanne hatte ihren eigenen Schlüssel. Eigentlich war sie keine richtige Bedienstete.
Man konnte nicht Herzogin sein und gleichzeitig zur Dienerschaft gehören. Doch mit der Gouvernante war soweit alles in Ordnung. Dieses Wort beschrieb keine Identität, sondern eine Tätigkeit. Anders ausgedrückt: Nichts sprach dagegen, daß sich eine junge Frau als Gouvernante die Zeit vertrieb, bis sie schließlich ihre Bestimmung im Leben fand und einen Mann heiratete. Es galt als eine Art Spiel, als Gouvernante tätig zu sein.
Die Eltern der beiden Kinder begegneten Susanne mit Ehrfurcht. Sie war die Tochter eines Herzogs, während Herr Gamasche eine Größe in der Stiefel-und-Schuhe-Branche darstellte. Frau Gamasche erhoffte sich eine Beförderung zur Oberschicht und las zu diesem Zweck Bücher über Etikette. Sie begegnete Susanne mit jener Art von besorgtem Respekt, die ihrer Meinung nach jemandem zustand, der von seiner Geburt her den Unterschied zwischen Serviette und Mundtuch kannte.
Susanne hatte nie daran gedacht, daß man in der Gesellschaft
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