Schweinsgalopp
Esel ist vor dem Stadttor verendet, und wenn ich großes Glück habe, bekomme ich vielleicht noch einen Huf…«
»Warnen?« wiederholte Susanne.
Sie spürte es erneut. Im geistigen Äther kündigte sich ein Wetterumschwung an, und die Zeit schien plötzlich greifbar zu werden…
Der Rattentod nickte.
Irgendwo weiter oben kratzte etwas. Einige Rußfladen fielen durch den Schornstein.
QUIEK, sagte der Rattentod sehr leise.
Ein neues Empfinden regte sich in Susanne. Sie fühlte den Wandel wie ein Fisch, der seltsame Gezeiten bemerkte, frisches Wasser, das in die Welt strömte.
Sie sah zur Uhr. Es war erst halb sieben.
Der Rabe kratzte sich am Schnabel.
»Die Ratte meint… Die Ratte meint, du sollst auf der Hut sein…«
Auch andere arbeiteten an diesem strahlenden Silvestervorabend. Der Sandmann machte seine Runde, schleppte seinen Sack von Bett zu Bett. Ferdinand Frost wanderte von Fenster zu Fenster, malte hübsche Eisblumen an die Scheiben.
Eine kleine, halb zusammengekrümmte Gestalt war im Rinnstein unterwegs, stapfte durch Schneematsch und fluchte leise vor sich hin.
Sie trug einen fleckigen schwarzen Anzug und auf dem Kopf einen Hut, den man in verschiedenen Teilen des Multiversums »Melone« beziehungsweise »so ein Ding, mit dem man wie ein vornehmer Pinkel aussieht« nannte. Der Hut war so fest auf ihren Kopf gepreßt, daß er ein ganzes Stück nach unten reichte. Und da das Geschöpf lange, spitz zulaufende Ohren hatte, neigten diese sich notgedrungen zur Seite. Dadurch sah sein Kopf aus wie eine kleine, böswillige Flügelschraube.
Das Wesen war der Gestalt nach ein Gnom, erfüllte jedoch die Aufgaben einer Fee. Feen müssen nicht unbedingt kleine, glitzernde Geschöpfe sein. Das ist nur eine Tätigkeitsbeschreibung, und die gewöhnlichsten Exemplare sind nicht einmal sichtbar. 9 Praktisch jedes beliebige Wesen kann zu einer Fee werden, wenn es von übernatürlichen Gesetzen in Anspruch genommen wird, um irgendwelche Dinge fortzuschaffen – oder um Dinge zu bringen, so wie der Wicht, der nun durch ein Abflußrohr kletterte und immer noch fluchte.
Oh, ja. Jemand mußte diesen Job erledigen, und dieser Gnom schien bestens dafür geeignet zu sein.
O ja.
Sideney machte sich Sorgen. Er verabscheute Gewalt, und davon hatte es in den letzten Tagen jede Menge gegeben. Wenn man an diesem Ort überhaupt von Tagen sprechen konnte. Die Männer… Sie schienen das Leben nur dann interessant zu finden, wenn sie andere Leute mit scharfen Dingen bearbeiten konnten. Zwar belästigten sie ihn nicht, so wie Löwen keine Ameisen belästigten, aber sie besorgten ihn trotzdem.
Aber nicht annähernd sosehr wie Kaffeetrinken. Selbst der brutale Kerl namens Hühnerdraht behandelte ihn mit… nun, wenn nicht mit Respekt, so doch mit großer Vorsicht. Und das Monstrum Banjo folgte ihm wie ein Hündchen.
Der Riese beobachtete ihn jetzt.
Er erinnerte Sideney an Rudi Rüpel, der ihm das Leben in Mütterchen Knüppelsteins Schule zur Qual gemacht hatte. Rudi war damals kein Schüler gewesen, sondern ein Enkel oder Neffe der alten Dame, was ihm das Recht gab, sich im Bereich der Schule herumzutreiben und alle anderen Kinder zu schlagen, die kleiner, schwächer oder intelligenter waren als er – er hatte also eine ziemlich große Auswahl. Unter diesen Umständen erschien es um so ungerechter, daß er es immer auf Sideney abgesehen hatte.
Sideney war zu jener Zeit nicht fähig gewesen, Rudi Rüpel zu hassen. Er fürchtete sich viel zu sehr vor ihm und wollte sein Freund sein. O ja, er wünschte sich nichts mehr als das. Weil er dann hoffen durfte, daß sein Kopf nicht sooft unter Rudis Stiefel geriet und er vielleicht sogar Gelegenheit bekam, sein Mittagessen zu verspeisen, anstatt zu beobachten, wie es in den Abort geworfen wurde. Es war ein guter Tag, wenn dieses Schicksal nur sein Mittagessen ereilte.
Und später, trotz aller Bemühungen von Rudi Rüpel, wuchs Sideney heran und ging zur Universität. Manchmal teilte ihm seine Mutter mit, wie Rudi zurechtkam (in der typischen Art von Müttern nahm sie an, daß eine Freundschaft sie verband, nur weil sie gemeinsam zur Schule gegangen waren). Allem Anschein nach verkaufte er Obst und war mit einer Frau namens Angie 10 verheiratet. Was als Strafe nicht genügte, fand Sideney.
Banjo atmete sogar wie Rudi – der hatte sich ganz darauf konzentrieren müssen, bei ihm war immer die eine Seite der Nase verstopft gewesen. Der Mund des Riesen stand die ganze Zeit
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