Schwelbrand
Bilderbuchkulisse New Yorks.
»Sandra«, hauchte Søndervig schwach und zitterte.
»Kleeberg ist wirklich für alles da«, sagte Lüder. »Er erledigt alle Geschäfte für Sie, die schmutzigen wie die schönen. Sagten Sie nicht, er wäre Ihr Stellvertreter? Er scheint wirklich in allen Belangen Ihre Interessen zu vertreten.«
Søndervig fiel das Luftholen schwer. Er kämpfte um jeden Atemzug.
»Ich bin nicht so schlau, wie Sie denken«, sagte Lüder und stellte sein eigenes Licht unter den Scheffel. Er zog das nächste Bild hervor und hielt es Søndervig dicht vor das Gesicht.
Die Augen des alten Mannes flackerten wie irre, als er die Fotografie besah. Er wollte etwas sagen, aber außer einem Röcheln drang kein Laut über seine Lippen. Aus seinen wässrigen Augen sah er abwechselnd auf das Bild und auf Lüder.
»Das ist meine Informationsquelle«, sagte Lüder laut.
Horst hatte die Fotomontage hervorragend hinbekommen. Sandra von Søndervig-Gravenstein hielt ein Champagnerglas in der Hand und lehnte ihren Kopf, ein strahlendes Lächeln im Gesicht, gegen Lüders Wange. Lüder musste zugeben, dass er elegant aussah in der weißen Smokingjacke.
»Verrat«, hauchte Søndervig. Es war kaum noch zu verstehen. Dann zuckten seine Augenwinkel. Der Graf riss seine trüben Augen ganz weit auf. Er öffnete den Mund und schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Er versuchte, seine Hand anzuheben, hielt aber mitten in der Bewegung inne. Kraftlos fiel sie auf seinen Oberschenkel zurück. Fast in Zeitlupe neigte sich der Kopf zur Seite. Noch einmal gab sich Søndervig einen Ruck und schaffte es, den Kopf um ein oder zwei Zentimeter aufzurichten, dann brach der Blick des Mannes.
Lüder beugte sich über Søndervig. Es gab keinen Zweifel. Søndervig hatte sich einer anderen Gerechtigkeit überantwortet.
»Der Lord ist fort«, murmelte Lüder leise vor sich hin, zog sich Einmalhandschuhe über und fingerte den Umschlag mit den Computerausdrucken aus der Tasche, die er aus Kleebergs und Plagges Kanzlei mitgebracht hatte. Lüder stand auf und ging zur Bücherwand. Suchend tastete sein Blick die Buchreihen ab, bis er stutzte.
»Das hat Stil«, sagte er zu sich selbst und steckte den Umschlag zwischen zwei Bücher. »Krupp – Legenden und Wirklichkeit« von Berat Engelmann und »Der Preis« von Daniel Yergin.
Lüder war sich sicher, dass Klaus Jürgensen und seine Leute die Dokumente finden würden. Die Flensburger Kollegen würden es ebenso zu würdigen wissen. Paul Kleeberg würde es schwerfallen, das alles zu erklären. Der ganze Vorgang war Begründung genug, um Søndervigs Finanztransaktionen der jüngsten Zeit zu durchleuchten. Und Kleebergs. Vielleicht fand sich eine Erklärung, wie Heinrich Frosinn an das Blutgeld geraten war.
Lüder wartete noch einen kleinen Moment, dann ging er gelassen zur Tür und betrat die Halle.
»Hallo!«, rief er laut. Kurz darauf erschien die Pflegerin.
Lüder zeigte auf die offene Tür der Bibliothek. »Können Sie einmal nach Herrn von Søndervig-Gravenstein sehen? Ich glaube, es geht ihm nicht gut.«
Merkwürdig, dachte Lüder, als er ins Freie trat. Die ganzen Tage über hatte es geregnet. Jetzt zeigte sich ein blaues Loch am Himmel, dort drüben, auf der dänischen Seite bei Kollund. Es sah aus, als wollten die Nachbarn einen freundlichen Gruß herüberschicken. Langsam schlenderte er zu seinem Auto zurück und warf routinemäßig einen Blick auf sein Handy. Margit hatte eine SMS geschickt: »Komm bald nach Hause. Ich liebe dich.« Außerdem fand er vier Anrufversuche von Leif Stefan Dittert vor. Lüder wunderte sich, mit welcher Hartnäckigkeit der Pressemann – er weigerte sich strikt, Dittert als Journalisten zu bezeichnen – ihn zu erreichen versuchte. Auf seiner Mailbox hörte er die krächzende Stimme fast flehentlich um Rückruf bitten.
»Was ist los, Dittert?«, sagte Lüder, als sich der Zeitungsmann meldete.
»Herr Dr. Lüders«, sagte Dittert mit einer Stimme, der deutlich das Zechgelage vom Vortag anzuhören war.
Herr Dr. Lüders? So hatte Dittert ihn noch nie genannt.
»Sie müssen mir helfen.«
Lüder lachte schrill auf. »Das ist der Scherz der Woche. Ich! Und Ihnen helfen, Dittert.«
»Doch. Bitte. Ich habe ein großes Problem.«
Als Lüder schwieg, fuhr Dittert nach einer Weile fort.
»Man hat mir gestern den Führerschein abgenommen. In Husum.«
»Das wird sicher seine Berechtigung haben«, sagte Lüder schadenfroh.
»Daran ist nur Ihr
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