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Schwemmholz

Schwemmholz

Titel: Schwemmholz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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sagte die Stimme. »Vera Vochezer.«
     
    Schwankend glitt der Lastenaufzug in die dunkle Tiefe hinab. Plastik schrabbte den unverputzten Schacht entlang. Um den Rumpf zu verpacken, hatte Judith unten aus dem Keller Plastikplanen holen müssen. Mit der Plane waren Hohlblocksteine abgedeckt, die für eine Trennwand zwischen Trockenraum und Fahrradkeller bestimmt waren. Außerdem hatte sie im Keller eine Sackkarre gefunden.
    Oben hatte sie den Rumpf auf die Plane gewälzt und diese dann zusammengeschlagen und mit Sicherheitsnadeln festgesteckt. Das war nicht einmal so schwierig gewesen und jedenfalls leichter als das, was sie vorher in der Badewanne hatte tun müssen.
    Dann hatte es aber doch noch Probleme gegeben. Sie konnte das, was von Stefan Rodek übrig geblieben war, nicht hochkant auf die Sackkarre stellen, weil es sofort wieder gekippt wäre. Sie musste den Rumpf vorsichtig in der Mitte aufnehmen, damit er weder rechts noch links herabrutschen konnte. Das war ihr aber erst beim vierten oder fünften Versuch gelungen, und sie hatte den Rumpf bis vor den Aufzug gebracht.
    Doch dann war sie zu weit nach links geraten und hatte mit dem, was einmal Rodeks Hüfte gewesen war, die Mauer gestreift. Der Rumpf war heruntergerutscht und halb auf der Plattform des Aufzugs und halb im Korridor liegen geblieben. In der Maueröffnung war nicht genug Platz, um ihn wieder mit der Sackkarre aufzunehmen. So hatte sie versuchen müssen, den Rumpf vollends in den Aufzug zu zerren, und sie hatte sich gebückt und die Plastikplane gepackt. Aber in ihren Händen waren keine Kraft mehr gewesen.
    Erschöpft hatte sie sich wieder aufgerichtet. War es das?
I’m all tied up with you. In diesem Augenblick hatte sie für den toten Rodek noch mehr Hass empfunden als je für den lebenden. Schließlich hatte sie begonnen, sich die Unterarme zu massieren, und es dann noch einmal versucht und ruckweise das Paket auf die Ladefläche gewuchtet.
    Der Aufzug setzte auf. Judith wusste, dass die Ladefläche einen knappen Zentimeter unter der Kante des Kellerbodens anhielt. Sie musste deshalb zu Fuß nach oben in die Wohnung zurück und eine Wolldecke holen, um die Kante abzudecken. Sonst hätte sich die Plastikplane daran verhaken und aufreißen können. Trotzdem schien es ihr, als sperre sich der Rumpf dagegen, in den Keller geschleift zu werden. Endlich lag er auf dem Kellerboden.
    Judith lehnte sich an den Aufzugschacht und atmete tief durch. Ihre Beine zitterten, und Übelkeit stieg in ihr hoch. Dann begriff sie. Sie hatte einfach Hunger. Tierischen Hunger. Sie sah um sich. In der Nacht hatte sie bei einer der ersten Fuhren auch die Einkaufstasche mit dem Roastbeef und den Sandwiches nach unten gebracht und auf einem umgedrehten leeren Bierkasten abgestellt. Sie nahm die Tasche und ließ sich vorsichtig auf den Bierkasten nieder.
    Sie griff in die Tüte und pulte eine Scheibe Roastbeef aus dem Cellophan. Das Roastbeef sah mehr blass als braun-rötlich aus, sie steckte es sich in den Mund und brach kauend ein Stück von einer Baguette ab. Das Weißbrot schmeckte pappig. Egal, dachte sie. Uns geht es jetzt schon besser.
    Vor ihr lag die Plastikplane und das, was darin eingeschlagen war. Plötzlich fiel ihr eine Theateraufführung aus ihrer Schulzeit ein, sie war damals 17 gewesen und die Theater-AG hatte eine Moritat inszeniert. Judith hatte eines der Opfer gespielt und war zum Schluss, in einen Teppich eingerollt, über die Bühne getragen worden. Dann verscheuchte sie die Erinnerung. Es gab anderes zu tun. Im frühen Morgenlicht hatte sie einen Blick aus dem Fenster geworfen. Noch nie hatte sie den Fluß so groß, ja gewaltig gesehen. Wenn das Wasser weiter stieg, würde es bald die Dammkrone erreichen.

    Und der Keller wäre binnen weniger Minuten überflutet.
    Weiter hinten im Keller stand die Plastikwanne. Über das, was unten darin lag, hatte sie Rodeks Klamotten geworfen. Seine Brieftasche behielt sie; es war einiges Geld darin, sie würde es noch brauchen können. Von allem anderen würde man heute Mittag nichts mehr sehen, nichts als eine glatte, sauber gemauerte Wand aus Hohlblocksteinen, eine Mauer, die einen ungenutzten Vorsprung im Fahrradkeller um einen halben Meter verkürzte. Niemandem würde diese Mauer jemals auffallen.
    Sie hatte auch den Laptop aus der Wohnung geholt. Der Laptop und die Disketten dazu hatten dem kleinen Gerichtsschreiber gehört. Ihr war nicht ganz klar, warum Rodek dieses Zeug überhaupt behalten hatte. Es

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