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Schwemmholz

Schwemmholz

Titel: Schwemmholz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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dass sie nicht von Sander sprach. »Am Schalter stand ein junger Mann, groß, sportlich, mit einem schmalen, energischen Gesicht, und wollte Dollar und Travellerschecks zurücktauschen, die er nicht gebraucht hatte. Er war ein halbes Jahr in den USA gewesen, erzählte er
mir, nun sei er wieder zurück, und dann wollte er wissen, was er in der Szene versäumt habe, ausgerechnet von mir wollte er das wissen, und ob er mich am Abend treffen könne.«
    Sie trank vorsichtig einen Schluck Kaffee. »Er war Student, und ich wusste, dass er aus einer der besseren Ulmer Familien kommt, ich kannte die Mutter, eine richtige Dame. An meinen fünf Fingern hätte ich es mir abzählen können, dass ich für ihn nicht mehr war als ein dummes Mädchen, mit dem man ein paar Nächte lang seinen Spaß haben kann.« Sie suchte Berndorfs Blick, so, als ob sie unsicher sei, was er von ihr hielt. Berndorf sagte nichts, sondern schaute sie nur aufmerksam an. »Ich habe noch am gleichen Abend mit ihm geschlafen«, sagte sie unvermittelt, und ihr Gesicht rötete sich leicht. »Und in den folgenden Nächten auch. Ich glaube, ich habe damals von Anfang an gewusst, dass es nicht lange gut gehen würde. Aber gleichzeitig wollte ich es nicht wahrhaben. Ich wollte daran glauben, dass er bei mir bleiben würde.« Sie machte eine Pause, als versuchte sie sich genau zu erinnern.
    »Lange hat es dann auch nicht gedauert. Es begann damit, dass er am frühen Abend bei mir vorbeikam und mich auf das Bett warf. Als er fertig war, stand er wieder auf und ging. Er sei mit einem Kumpel verabredet, sie wollten zum Squash, sagte er, und ließ mich allein zurück, wie ein benutztes Papiertaschentuch. Ich hätte schon damals Schluss machen müssen.«
    Sie trank wieder einen Schluck Kaffee. »An einem der nächsten Tage holte er mich mittags an der Bank ab, er wollte, dass ich mit ihm in ein Café ging. Ich war noch wütend, wollte eigentlich nicht mit, bin aber doch gegangen. In dem Café führte er mich an einen Tisch, an dem ein Typ saß, so groß wie er, aber irgendwie breiter in den Schultern, dunkel, mit diesem blassen Teint, wie ihn Italiener manchmal haben. Das sei sein Freund, sagte er, und ich dachte noch, sie hätten sich zufällig getroffen. Das heißt, ich dachte erst gar nichts, bis die beiden davon sprachen, dass sie am Wochenende an den Bodensee fahren wollten, Jörgs Familie hatte dort ein Bootshaus, und dass ich mitkommen solle.«

    Vera Vochezer griff nach der Kaffeetasse und rückte sie auf der Untertasse zurecht, so, als gehöre es sich, dass der Henkel der Tasse parallel zur Tischkante steht. »Jörgs Freund schaute mich mit einem Blick an, der mir zuwider war. Aber ich hatte noch nichts gesagt, und ich hätte auch nicht gewusst, ob ich Nein sagen sollte. Ich wollte Jörg nicht enttäuschen, und vor allem wollte ich nicht, dass er mich für spießig hielt. In diesem Augenblick kam ein Mädchen an den Tisch, ich sehe noch ihre langen dunklen Haare, und sie ging auf Jörgs Freund zu und lächelte ihn an und sagte: ›Da bist du ja.‹ Und Stefan, Jörgs Freund, verdrehte nur die Augen und sagte: ›Die schon wieder. ‹ Das Mädchen blieb neben ihm stehen und fragte: ›Was ist denn los, warum bist du vorgestern nicht gekommen?‹ Und Stefan stand auf und packte sie mit der Hand unter dem Kinn,« – Vera versuchte, die Geste mit der Hand anzudeuten – »so, wie es manche Lehrer in der Schule machen, und hob ihr den Kopf hoch und sagte ganz leise, sie solle sich verpissen, und er sage ihr das nur einmal.«
    Sie hatte ihre Hand wieder in den Schoß gelegt. »Niemand im Café sagte etwas. Alle hatten aufgehört zu reden und starrten auf das Mädchen. Ich stieß Jörg an, weil ich wollte, dass er etwas zu Stefan sagte. Er sollte ihm sagen, dass es so nicht geht. Dass der Kerl das Mädchen nicht so behandeln darf. Aber Jörg achtete gar nicht auf mich, er sah Stefan mit einem Lächeln zu. Bewundernd war dieses Lächeln, und – vielleicht klingt das komisch – fast geschmeichelt. Das Mädchen hatte sich losgerissen und rannte aus dem Café. Und dann bin ich auch aufgestanden und gegangen. Jörg rief mir etwas nach, aber ich wollte nur noch weg. Ich bin in die Bank zurück und habe dort noch einen Brief geschrieben, dass ich ihn nicht mehr sehen und mit ihm nichts mehr zu tun haben möchte.«
    Berndorf betrachtete sie nachdenklich. Jörg und Stefan. Der junge Mann aus gutem Haus, und sein Freund, athletisch, dunkelhaarig und mit dem blassen

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