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Schwemmholz

Schwemmholz

Titel: Schwemmholz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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durfte so wenig gefunden werden wie das andere Zeug, das in der Wanne lag. Immerhin könnte sie jemand gesehen haben, wie sie mit Rodek zu der Wohnung gegangen war.
    Sie nahm noch ein Stück Roastbeef. Dabei musste sie an das hilflose Gesicht des Gerichtsschreibers denken, als sie bei ihm geklingelt hatte. Er hatte sie unter seinem flachsfarbenen Haar so erschrocken angestarrt, als hätte sie ihn beim Onanieren erwischt. Aber sie hatte ihn freundlich angelächelt und ihm erklärt, dass sie neu eingezogen sei und ein Problem mit den elektrischen Leitungen habe. Ob er wisse, wo der Schaltkasten sei? Aber ja, hatte er gesagt, und plötzlich ganz zutraulich zu lächeln begonnen. »Der Schaltkasten ist im Keller, ich zeige es Ihnen!« Und dann hatte er den Wohnungsschlüssel abgezogen und war ihr voraus in den Keller gegangen, und im Keller war Rodek hinter dem Kabelschacht vorgekommen und hatte ihm einen Schlag ins Genick versetzt und der kleine Gerichtsschreiber war lautlos in sich zusammengefallen.
    Sie schluckte den Bissen hinunter und überlegte, ob sie eine Zigarette rauchen solle. Dazu haben wir später genug Zeit, sagte sie sich dann und stand mühsam auf. Ihr ganzer Körper schmerzte. Vorsichtig ging sie zu dem Betonmischer, der in der Tiefgarage stand, schnitt mit dem Messer, das sie mitgenommen
hatte, einen den Zementsäcke auf, nahm eine Schaufel und begann, den Zement einzufüllen.
     
    Nein danke, sagte Vera Vochezer, sie wolle keinen Tee, und auch keinen Kaffee. Steif und mit zusammengepressten Knien saß sie in einem von Berndorfs Sesseln, so, als gehöre es sich nicht für eine anständige Frau aus dem Oberschwäbischen, einen Mann in seiner Wohnung aufzusuchen. Berndorf stellte ein Glas Mineralwasser auf den Schachtisch vor sie hin und setzte sich dann selbst. Noch wusste er nicht, wie er das Gespräch beginnen sollte. Dass sie zu ihm kommen würde, und das bereits am nächsten Tag, hatte er nicht erwartet. Sie sah noch blasser, noch ernsthafter aus, als er sie am Vortag erlebt hatte. Er sah sie abwartend an.
    »Ich weiß nicht, was mit Hartmut Sander ist«, sagte sie schließlich. »Es muss wichtig sein, sonst wären Sie nicht zu uns herausgekommen. Nur kann es mit mir nichts zu tun haben.« Berndorf sagte nichts, sondern neigte nur leicht den Kopf. Plötzlich ist ihr der Name ganz selbstverständlich, dachte er.
    »Es war im Winter 1986 auf 87«, fuhr sie fort.«Ich arbeitete damals in der Bank, in der Hartmut Kunde war. Wir kannten uns schon länger. Das heißt, er passte es immer ab, dass ich ihn bedienen konnte. Dabei war er furchtbar schüchtern, und wir haben zuerst immer nur ein paar Worte gewechselt. Irgendwann hat er es dann gewagt und mich zum Kaffee eingeladen, und ich habe angenommen.«
    Berndorf wartete darauf, dass sie weitersprach.
    »Ich hatte damals gerade eine Beziehung hinter mir, die mich sehr mitgenommen hat«, sagte sie zögernd. »Und das mit Hartmut – das war irgendwie harmlos. Unverfänglich. Wir haben mittags einen Kaffee zusammen getrunken, er hat mir von seinem Hobby erzählt, dem Fotografieren, und hat mir erklärt, warum er nur Schwarzweißbilder macht. Er hat gesagt, wenn man genau hinsehe, hätten sie viel mehr Stimmung. Und in einer von diesen Mittagspausen hat er auch das
Foto aufgenommen, auf dem Sie mich gefunden haben. Das war es dann schon, und wenn die Pause zu Ende war, sind wir beide wieder zur Arbeit.«
    Das war es nicht, dachte Berndorf. Er nickte nur kurz und vermied es, ihr in die Augen zu sehen. Es muss von selber kommen. Ich darf sie nicht unter Druck setzen.
    Sie trank einen Schluck Mineralwasser und zögerte. »Einmal hab ich ihn dann eingeladen. Zu mir in die Wohnung. Aber das ist nicht gut gelaufen.« Berndorf spürte, wie ihr Blick ihn fixierte. »Der Kontakt ist danach abgebrochen. Er kam auch nicht mehr in unsere Filiale. Und später habe ich ja geheiratet und bin kaum mehr in Ulm gewesen.«
    Schweigen senkte sich auf den Schachtisch und breitete seine lähmenden Flügel aus.
    »Ja«, sagte Vera, »das war es, was ich Ihnen sagen kann.« Sie griff nach ihrer Handtasche, als wollte sie aufstehen.
    Berndorf betrachtete weiter den Schachtisch, als habe er nichts gehört. Auf dem Tisch war eine Partie zwischen Kasparow und Anand aufgebaut, mit einem vertrackten Turm-Bauern-Endspiel. »Nein«, sagte er schließlich. »Das alles hätten Sie mir schon gestern sagen können.« Er sah kurz auf und senkte dann den Blick wieder. »Sie haben nicht gut

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