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Schwemmholz

Schwemmholz

Titel: Schwemmholz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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geschlafen. Man sieht es Ihnen an. Sie sind heute Morgen nach Ulm gefahren, obwohl Sie sonst kaum mehr hierher kommen. Was Sie mir erzählt haben, ist nicht das, was Sie umtreibt.«
    Vera schwieg. Sie blieb sitzen, als wollte sie sich an ihrer Handtasche festhalten. Berndorf hörte, wie sie kurz durchatmete. »Ich glaube, ich hätte jetzt doch ganz gerne eine Tasse Kaffee.«
     
    Die Mauer aus Hohlblocksteinen reichte schon knapp zu ihrer Hüfte. Judith setzte die Kelle ab und griff nach der Brusttasche ihres Overalls, um eine Zigarette herauszuholen.
    Nein, dachte sie. Erst die Wanne. Sie räumte die Kleider herunter, weil es sonst zu schwer geworden wäre, und legte einen von Rodeks Pullovern griffbereit neben sich. Mit einiger
Anstrengung hob sie die Plastikwanne hoch und kippte den Inhalt über die Mauer. Dorthin, wo schon der Rumpf war. Vorsichtshalber wischte sie den Rand der Wanne mit dem Pullover ab. Dabei stellte sie fest, dass ein kleinerer Plastikbeutel mit blutigem Inhalt in der Wanne zurückgeblieben war. Sie holte den Beutel heraus, hielt ihn einen Augenblick wie abwägend in der Hand, zuckte mit den Schultern und warf ihn zu den anderen Teilen, die sie von Rodek abgeschnitten hatte.
    Dann holte sie, was sie von Rodeks Jeans, Jacken, Hemden und Unterwäsche gefunden hatte, und verstaute es über dem Rumpf und den anderen Teilen von Rodeks Leiche. Sein Kopf war in eine Ecke der ausgemauerten Grube gerollt und dort, mit dem Gesicht nach oben, liegen geblieben. Sie hatte ihm die Augen nicht zugedrückt, und nun schimmerten die Augäpfel stumpf und lauernd in dem trüben Licht der Glühbirne, die von der Decke des Kellers herabhing.
    Judith nahm die Plastiktüte, die sie aus ihrer eigenen Wohnung mitgebracht hatte, und holte den Rock heraus und die zerrissene Bluse und warf sie über das Gesicht des Toten. »Nun ist ein Weiberrock das letzte, was du zu Gesicht bekommst«, sagte sie. »Down on the ground.« Sie legte die Plastiktüte mit dem Laptop und die Disketten auf den Haufen, der sich hinter der Mauer angesammelt hatte und sah sich prüfend um. Es war nichts mehr zu sehen. Sie griff nach der Schubkarre, um frischen Zement zu holen.
     
    Erwin Skrowonek löffelte fahrig ein halbweiches Ei. Wie gebannt sah ihm Tamar zu. Skrowonek war nicht rasiert und in seien Bartstoppeln verfing sich das verkleckerte Eigelb.
    Eigentlich macht es keinen großen Unterschied, tröstete sich Tamar. Wenn er es sich nicht in die Bartstoppeln schmiert, kleckert er es sich auf seine graue Wollweste.
    »Warum trinkst du deinen Tee nicht?«, wollte Maria Skrowonek von ihrem Gatten wissen. »Weil er mir nicht schmeckt«, sagte Erwin und betrachtete widerwillig die kleine Tonschale, die neben dem Frühstücksbrett stand.

    »Du bist ein unhöflicher alter Sabbergreis, weißt du das?«, stellte Maria fest. »Das ist ein ganz ein feiner Tee, Hannah hat ihn extra für uns gemacht, und du sollst hier nicht herummaulen, sonst müssen wir in die Altenklapse.«
    »Lass ihn, Tantchen«, sagte Hannah. »Unten im Dorf ist ein Konsum, da besorgst du nachher den Tee, den er sonst immer gehabt hat. Und das von der Altenklapse will ich überhaupt nicht mehr hören.« Hm, dachte Tamar. Sie selbst hätte es so ganz abwegig nun auch wieder nicht gefunden, die beiden obdachlosen Alten in einem Altersheim unterzubringen. Der Haushalt von Hannah und Tamar war nicht auf die Unterbringung eines alten tütteligen Ehepaares eingerichtet. Nur reichte Skrowoneks kümmerliche Rente fürs Heim nicht aus, sodass also erst das Sozialamt hätte gefragt werden müssen. Hannah hatte das auch versucht, schon allein, um zu klären, ob die Skrowoneks eine Soforthilfe bekommen könnten zum Ersatz für ihre verlorenen Habseligkeiten. Aber bis sie sich an die richtige Stelle durchgefragt hatte, war es Freitagmittag geworden und alle städtischen Behörden hatten geschlossen.
    Vorerst hatten sie das Ehepaar in einem Zimmer unten neben der Waschküche einquartieren können. Dort stand sogar ein schweres altes Ehebett, und Maria Skrowonek hatte bereits angekündigt, sie werde neue Vorhänge kaufen gehen, »denn ein bisschen wohnlich, nicht wahr, braucht der Mensch.«
     
    Der Kaffee war durchgelaufen, und Vera nahm ihm das Tablett mit Kanne, Tassen, Zucker und Milch ab. Sie setzten sich wieder an den Schachtisch, Berndorf goss ein, Vera nahm den Kaffee schwarz und ohne Zucker.
    »Ich habe ihn im Herbst 1986 kennen gelernt«, sagte sie unvermittelt. Für Berndorf war klar,

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