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Schwemmholz

Schwemmholz

Titel: Schwemmholz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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und fast das gesamte Besteck herausgeholt hatte. »Fünf silberne Löffel, dafür hat man damals noch die halbe Welt kaufen können.«
    Nun gut, dachte Tamar. Wenn Hannah beschlossen hatte, sich erst mal um die beiden Alten zu kümmern, dann soll das wohl so sein.
    Trotzdem wusste sie nicht, wie lange sie dies alles aushalten würde. Der unglückliche Oberarzt kam ihr in den Sinn, den sie Knall auf Fall verlassen hatte, unter anderem, weil er es in der Küche zu wichtig gehabt hatte.
    Sie sah zu Hannah hinüber, die entschlossen und konzentriert Acrylfarbe auf die Leinwand spachtelte. Tamar konnte das Bild nicht sehen, und solange es nicht fertig war, versuchte sie es auch gar nicht. Hannah konnte es nicht leiden, wenn frau ihr bei der Arbeit zusah.
    »Ja?«, machte Hannah.
    »Nichts«, sagte Tamar. »In dieser Zeitung steht nichts.«
    »Du sollst mir nichts vormachen«, meinte Hannah streng. »Dich nervt das alte Tantchen. Lass sie doch einfach machen. Freue dich daran, dass sie was zu tun hat und uns die Küchenarbeit abnimmt. Und wenn das partout nicht geht, dann lauf fünf oder zehn Kilometer, stemm Hanteln im Fitness-Center oder klär meinetwegen ein paar von deinen Morden auf.«
    Tamar hatte das Gefühl, als werde sie abwechselnd rot und wieder blass. »Ach, so ist das! Du brauchst mir es nicht zweimal sagen, wenn ich mich verpissen soll.« Sie stieß sich von dem Schaukelstuhl hoch und stand schlank und zornig in dem niedrigen Zimmer. »Ich bin schneller hier raus, als du denkst.«
    »Mach bitte keinen Scheiß«, antwortete Hannah und legte den Spachtel weg. »Was glaubst du wohl, was ich mit dir anstelle, wenn du hier abhauen willst? Trotzdem brauchst du keine Szene zu machen, nur weil es dir langweilig ist und Tantchen draußen in der Küche scheppert. Übrigens ist das wirklich
nicht auszuhalten.« Sie ging zur Tür. »Tantchen Marie, bitte nicht die ganze Küche umräumen.«
    Aus der Küche hörte man Marie Skrowonek brummeln. »Nein, Tantchen«, antwortete Hannah entschieden, »wir haben keine Kuchenform und wir holen auch keine Kuchenform und wir backen auch keinen Apfelkuchen, sondern wir holen uns heute Nachmittag welchen, aus der Bäckerei unten im Dorf.«
    Tamar, die Hände in die Hüfte gestemmt, hörte wortlos zu. Was war das für eine Art, sie erst herunterzuputzen wie Trotzköpfchen im Schullandheim, und sie danach stehen zu lassen wie einen abgenadelten Weihnachtsbaum im Februar?
    Ein quäkendes Piepsen drang durch das Zimmer. Tamar ging zu ihrem Handy, das auf der Kommode abgelegt war, und meldete sich. »Tut mir Leid, wenn ich Sie störe.« Berndorfs Stimme klang ernst, fast geschäftsmäßig. Und fast wie früher. »Sie stören nicht«, antwortete Tamar mechanisch. Selten war ihr ein Anruf so willkommen gewesen wie eben jetzt.
    »Ich habe hier eine Zeugin, deren Aussage protokolliert werden müsste. Vor allem aber braucht sie Polizeischutz.«
    Hannah kam in das Zimmer zurück. »Entschuldige«, sagte sie, »mich hat das vorhin auch nervös gemacht, und weil ich Tantchen nicht anschnauzen wollte, hat es dich getroffen. Noch böse?«
    So kommst du mir aber nicht davon, dachte Tamar. »Nöh«, sagte sie, »warum sollte ich böse sein? Ich mach nur, was du vorgeschlagen hast.« Sie steckte das Handy in ihre Jackentasche. »Ich geh ein paar Morde aufklären . . .«
     
    Der Himmel hatte aufgeklart, aber durch die Gardinen drang nur weißlichgraues Licht, als habe der Aktenstaub die grellen Farben des Lebens ausgefiltert. Das Dienstzimmer des Ersten Staatsanwalts Desarts lag im sechsten Stock des Justizhochhauses, und wären die Gardinen nicht gewesen, hätte man einen freien Blick auf die Hügel im Westen der Stadt gehabt.
    Unverrückbar, als sei sie mit ehernen Lettern in der Strafprozessordnung
verankert, stand die Bonbonniere mitten auf dem Besprechungstisch. Desarts hatte Tamar unten am Eingang erwartet, neben ihm war Berndorf mit seinem Krückstock gestanden, aber er hatte sich nur noch ganz leicht, fast spielerisch darauf abgestützt. Desarts hatte dann aufgeschlossen und war mit ihnen im Fahrstuhl hochgefahren.
    Nun saßen sie wieder um den Tisch, zu dritt in einer informellen Runde, denn Berndorf, noch immer krankgeschrieben, hatte keine dienstliche Funktion. Tamar hatte während der Mittagsstunden die Aussage von Vera Vochezer zu Protokoll genommen und – zunächst gegen Veras heftigen Protest – Personenschutz für sie angefordert. Eine Beamtin der Biberacher Polizei würde sie die

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